Freiheit
die ich meine
Rundfunksendung SWR 2005
Annegret Stopczyk
Vor
kurzem las ich in der Stuttgarter Zeitung auf der Jugendseite, was so die Schülerinnen
und Schüler denken, wenn sie sich zum Wort Freiheit Gedanken machen.
Freiheit
ist ja ein alter philosophischer Begriff, über den sich die größten
Philosophen die Köpfe zermartert haben, aber auch in politischen Zusammenhängen
ging es und geht es immer wieder um das, was wir Menschen mit Freiheit meinen. Für
so manche Freiheitsidee sind Menschen in den Krieg gezogen und ziehen immer noch
dafür in den Krieg. Ich habe es als Philosophin schon längst aufgegeben, mir
eine einzige richtige Definition für solch einen folgenreichen Begriff
auszudenken. Es hat sich auch in der Geschichte nicht gerade als sinnvoll
erwiesen, die eine Freiheitsvorstellung gegen alle anderen durchsetzen zu
wollen. Darum war ich gespannt, was unsere Kinder dazu zu sagen haben.
Kindermund tut Wahrheit kund, heißt es oft. Und was wurde auf dieser Seite der
Jugend kundgetan?
"Freiheit
ist für mich, wenn ich mit dem Roller durch die City düsen kann; wenn ich
nicht im Gefängnis sitzen muß und ohne Probleme in der Welt leben kann - und
wenn ich gut in der Schule bin" schrieb ein 14 jähriger Schüler.
Damit
faßte er gleich vier philosophische Freiheitskategorien in einem Satz zusammen.
Freiheit von körperlicher Begrenzung, Freiheit von Zwangsmaßnahmen, Freiheit
von Existenzkämpfen und zu guter Letzt Freiheit von Leistungsschwäche.
Hiermit
habe ich diese Freiheitsvorstellungen allerdings nur negativ umformuliert.
Freiheit von etwas, das Unfreiheit bedeuten würde. Das ist der negative Begriff
von Freiheit und manche Philosophen meinen, das reicht auch aus. Es reicht zu
wissen, was man nicht will, und daraus entsteht, was man will. Nämlich diese
Grenzen überschreiten. Nur wer das will, sei ein Freiheit liebender Mensch. Es
sei gar nicht nötig, die Freiheit positiv zu formulieren, also zu sagen, was
Freiheit ist. Denn damit grenzen wir uns sogleich wieder ein und rufen all jene
auf den Plan, die aus Prinzip gegen jede Grenze rebellieren. Also es reicht zu
wissen, was ich nicht will, um mich frei zu fühlen.
Der
Schüler hatte aber auch positive Vorstellungen davon, wie er Freiheit erleben würde.
Nämlich auf einem Roller durch die City rasend oder indem er gut in der Schule
ist. Nicht im Gefängnis zu sitzen und ohne Probleme zu leben, sind Abgrenzungen
gegen das Einschränkende, Begrenzende, also Negativbegriffe, aber auf einem
Roller durch die City zu rasen geht darüber hinaus. Hier wird zwar die körperliche
Geschwindigkeitsgrenze überwunden, aber das ist nicht das Ziel dieses
Freiheitswunsches. Das Ziel ist das Gefühl der Freiheit zu erleben, als
leibliche Intensität, als Glücksgefühl, als Flow. Dazu kommt natürlich, daß
der Rollerführerschein gemacht ist, Erwachsenenleben mit all den Versprechungen
nach Selbstbestimmung in greifbare Nähe rückt. Ist es das, was auch der
Filmklassiker "Easy Ryder" ausdrückt? Oder wie ein anderer Schüler
sagt: "Eine Harley Davidson und ein V8-Motor, diese Dinge verkörpern für
mich Freiheit".
Wer
weiß eigentlich so konkret wie diese zwei Schüler, was einem ein Freiheitsgefühl
bringen könnte, wie es herzustellen ist? Ich finde, das ist gar nicht so
einfach, genau zu wissen, wie ich ein Freiheitsgefühl realisieren kann.
In
meiner philosophischen Praxis begegnen mir manchmal Menschen, die nicht genau
wissen, was sie glücklich machen könnte. Und daß ein Freiheitsgefühl froh
machen kann, ist nicht für jeden selbstverständlich. Manche finden es auch
beschwerlich, sich als einen freien
Menschen vorzustellen. Das Ideal ist nicht da, frei zu sein. Eher fühlen sie
sich umgeben von Pflichten und Verantwortlichkeiten und wissen nicht, welcher
Pflicht sie nun am ehesten folgen sollten. Diese Wahlfreiheit fühlt sich nicht
so angenehm an. Sie ist nicht genau fokusiert auf einen Wunsch, auf einen
einzigen Sehnsuchtsinhalt. Bei den beiden Schülern ist das anders. Sie wissen
genau, was für sie ein tolles Freiheitsgefühl wäre. Sie verbinden damit für
sich eine ultimativ freudige Lebenssituation.
Der
Schriftsteller Bernhard Shaw drückt es krasser aus: "Freiheit heißt
Verantwortlichkeit, deshalb wird sie von den meisten Menschen gefürchtet".
Die
beiden Schüler haben zu diesem verantwortungsethischen Freiheitsbegriff
intuitiv keine Verbindung hergestellt. Deshalb sind sie aber noch lange nicht
unethisch in ihrer Sehnsucht nach Freiheit, sondern sie stellen sich damit nur
eine Lust vor, die sie auch körperlich spüren könnten. Diese Freiheitslust
ist in der philosophischen Ethik eher tabuisiert. Kant meint, wir dürften uns
keine Lust ethisch erzielen wollen, denn dann hätte jeder Einbrecher ein
ethisches Motiv, da ihm der gelungene Raub Lust bereitet.
Und damit stelle ich die Frage: Ist es ethisch gut, auch Lust an der
Freiheit haben zu wollen?
Als Leibphilosophin sage ich ja, aber ich unterschiede wie Spinoza unter Lüsten, die das Leben auch ringsherum stärken und Lüsten, die das Leben schwächen. Es stärkt die Lebenslust eines Jugendlichen, wenn er Freiheit mit Freude assoziiert. Und das ist doch nicht verwerflich, oder?
2.
Schülerinnen
und Schüler machten sich auf einer Stuttgarter Zeitungsseite Gedanken über das
Wort Freiheit. Was bedeutet für sie dieser Begriff? Ich bin als studierte
Philosophin vollgestopft mit all dem philosophischen und politischen Wissen, das
es zu diesem Begriff gibt. Wie aber denkt man darüber jenseits dieses
Vielwissens? Zwei Schüler meinten, mit dem Roller durch die City rasen, brächte
ihnen das große Freiheitsgefühl. Sie stellen es sich wunderbar vor, in diesem
Geschwindigkeitsrausch zu sein, den sie selber verursachen dürfen, weil sie den
Rollerführerschein gemacht haben. Das Wort Freiheit ist für sie positiv
besetzt. Ebenso für eine andere Schülerin, die sagt: "Ich fühle mich
frei, wenn ich meinen Hobbys nachgehen kann" oder eine weitere Schülerin
sagt: "Ich möchte einmal mit einem Heißluftballon fliegen. Denn wenn man
fliegt, dann sind die Menschen und die Häuser sehr klein, und dann kommen einem
die eigenen Probleme auch sehr klein vor. Und irgendwie fühlt man sich dann
auch frei".
Diese
Wünsche nach einem leiblichen Zustand, sich frei zu fühlen, Freiheit zu
erlangen, sind machbar. Das ist der Vorteil von Freiheitssehnsüchten, die durch
bestimmte Tätigkeiten erfüllbar sind. Wahrscheinlich sind solche Menschen die
glücklicheren, die konkreter wissen, was sie tun müssen, was sie brauchen, um
ein schönes Freiheitsgefühl zu erleben.
Aber
es gab auch Schülerinnen und Schüler, die einen negativen Freiheitsbegriff äußerten.
Sie verstanden Freiheit als Nichtvorhandsein von Unangenehmem. So, "daß
den Jugendlichen nicht alles verboten wird" oder "daß ich nicht im
Gefängnis sitze". Eine Schülerin faßt zusammen: " Freiheit drückt
sich für mich so aus: keine Mauern, keine Zäune, keine Straßen, keine
Grenzen, keine Absagen".
Ein
negativer Freiheitsbegriff verneint das, was als unangenehm oder als Unfreiheit
gesehen wird. Diese Schülerinnen und Schüler werden es im Leben wahrscheinlich
schwerer haben, Freiheitserfahrungen zu machen, denn das, was sie dazu bräuchten
wäre eine ganz andere Welt, eine ganz andere Gesellschaft, eine, die
wahrscheinlich menschenunmöglich ist. Das sind die Utopisten, die sich eine
Welt ganz anderswo vorstellen und die unsere erfahrbare damit vergleichen. Nun
sagt man, Jugendliche müssen Idealisten sein um später gute Reformer zu
werden. Nun, mich macht es eher besorgt, wenn Jugendliche keine kleinen
realisierbaren Freiheitsgefühle kennen, wenn sie immer gleich eine ganz andere
Welt wollen, andere Eltern und am Ende auch selber ganz anders sein wollen als
sie sind.
Manche
Schülerinnen und Schüler schrieben auch, daß Freiheit vieles bedeuten kann
und bestimmten ihren Begriff als relativ zu dem, was jemand erlebt. Ich denke,
sie werden die Welt ohne große Frustrationen realistischer sehen können, sich
weniger unfrei fühlen und unglücklich sein, weil sie Beziehungsverhältnisse
berücksichtigen.
Dabei
wird mir klar, daß für mich in diesem Falle Freiheit ist:
Beurteilungskriterien dafür zu finden, welche Freiheitsträume ich jungen
Menschen wünsche, damit sie von Freiheit nicht nur träumen müssen.
In
meiner philosophischen Praxis begegne ich manchmal Menschen, die als Jugendliche
und junge Erwachsene große Ideale hatten und die nun als mitten im Leben
stehende Erwachsene um die 40 damit hadern, daß sie ständig gegen ihre eigenen
Ideale verstossen. Dadurch können nagende Schuldgefühle entstehen und ein
unzufriedener Grundzustand, der empfindlich macht gegen jegliche Kritik. Die
Leistungsfähigkeit im Beruf ist wenig selbständig, weil zu sehr abhängig vom
Lob der anderen.
Hier
ist es oft sinnvoll, sich die Ideale genauer anzuschauen, die jemand in der
Pubertät gebildet hat. Damals gab es erste Freiheitsgefühle des eigenen
Denkens, des eigenen Beurteilens und der Freiheit der Distanz zu jener Umgebung,
in die man hineingeboren ist. Diese Freiheit haben sich manche Jugendliche
schwer erkämpfen müssen. Und die Ideale haben dabei geholfen, sich in
angemessenere Umgebungen zu begeben. Aber sind diese Ideale und überhaupt das
unbedingte Festhalten an bestimmten Idealen noch sinnvoll in einem erwachsenen
Leben später?
Die
Philosophin Helene Stöcker versuchte schon vor hundert Jahren hier eine
philosophische Balance zwischen den sogenannten "Verkündern" von
hehren Idealen und den Verwirklichern herzustellen. Heutzutage finden wir das
Problem zum Beispiel in der Partei die Grünen, wenn es um die sogenannten
Fundamentalisten und die Realos geht. In dem Moment, in dem man mit der eigenen
Entscheidung das Leben anderer Menschen beeinflußt, ist man damit konfrontiert,
daß die anderen Menschen möglicherweise anderes wollen als man selbst und sich
unfrei fühlen würden mit dem, was man für sie zu regeln versucht. Hier geht
es nicht mehr um die eigene Freiheitsstrebung, sondern um das Arrangement mit
anderen Freiheitsstrebungen. Kompromisse schließen zu können ist dann eine
Kunst und kein Verrat an den eigenen Idealen.
3.
In
einer stuttgarter Zeitung gab es vor kurzem einen Artikel auf der Jugendseite,
was Schülerinnen und Schüler über Freiheit denken. Folgender
Gedanke muß die Redaktion sehr beeindruckt haben. Er erscheint als Titelüberschrift:
Ein 14 jähriges Mädchen sagte: „Freiheit ist, einfach das Leben zu leben“.
Dieser
Satz klingt tief und verblüffend plausibel. „Freiheit ist, einfach das Leben
zu leben“.
Zuerst
stolperte ich über „einfach das Leben zu leben“. Als ob das so einfach wäre.
Eben, deshalb gehört Freiheit dazu, würde die Schülerin vielleicht sagen,
und die ist eben nicht einfach vorhanden. Wir sind nicht so frei dazu
geboren, das Leben einfach zu leben, wie wir vielleicht glauben.
Ist
dieser Satz so gemeint? Wer weiß, ich kann die Schülerin nicht fragen. In
diesem Satz ist auch eine Sehnsucht enthalten, die Sehnsucht das Leben einfach
leben zu können, ohne die Beschränkungen ringsherum. Aber gehört zum Leben
nicht auch, dass eben nicht einfach alles nach meinen Wünschen geht?
Ich
versuche, der Plausibilität dieses Satzes auf die Spur zu kommen. Und warum
sollten die Schülerinnen und Schüler immer nur schwere Texte von Philosophen
und selten auch einmal Philosophinnen interpretieren. Ich könnte ja auch einmal
umgekehrt als Philosophin einen Satz von einer Schülerin interpretieren.
Also
noch einmal der Satz: „Freiheit ist, einfach das Leben zu leben“.
Einfach
das Leben leben. So wie eine Pflanze vielleicht, die nicht fragt, warum sie
existiert, oder wie ein Tier, dass nicht ständig nach vorne plant sondern nach
seinen Lebensinstinkten einfach lebt und fertig.
Mir
kommt ein Satz in den Sinn, den ich, als ich jung war, über meinem Bett hängen
hatte: „Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen“.
Wir
Menschen singen von Freiheit, schwärmen, träumen, sehnen uns nach Freiheit.
Als ob es einen wilden Urzustand gäbe für uns, den wir ständig verfehlen. Das
ist die alte romantische Vorstellung von dem natürlich guten Wilden, der uns
vor macht, wie einfach es ist, als Mensch mit der Natur gut zusammen zu leben.
Wir
Zivilisierte fliegen nicht, wir singen über das Fliegen.
Wenn
ich den Satz über das einfache Leben als Freiheit so interpretiere, lande ich
melancholisch als Romantikerin im Abseits, denn diese Wildheit, von der aus
hier unser Leben als kompliziert beurteilt wird und nicht als einfach
leben, gibt es für uns Menschen wahrscheinlich nicht. Auch diese Sehnsucht nach
dem natürlichen einfachen Leben ist nicht natürlich und einfach. Sie
reflektiert den Unterschied zur Tierwelt, zur komplexen Gesellschaft. Tiere können
sich nach ihren Instinkten orientieren, wenn sie etwas tun, Menschen fehlen
solche Instinkte, die das Verhalten bis ins einzelne regulieren. Darum wird es
komplizierter. Uns stehen meistens mehrere Möglichkeiten offen, uns zu
entscheiden, wenn wir einigermaßen ungezwungen in einer Gesellschaft leben können
und nicht völlig reglementiert sind von Verhaltensregeln, die andere
aufgestellt haben. Da ist Freiheit nicht einfach, sondern eher kompliziert.
Leider. Das Tier hat die Freiheit
einfach zu leben. Aber ist das Freiheit?
In
meine philosophische Praxis kam einmal ein Mann, der meinte, ich als
Leibphilosophin müßte ihm doch einen Weg zeigen können, wie er zu seinem
eigentlichen Ursprung kommen könnte, wie er all sein ewiges Denken ausschalten
könnte, sein Interpretieren und Grübeln, weil das alles nur falsch sein kann
und anerzogen. Aber sein Körper sei das Ursprüngliche und auf den Körper zu hören
sei besser als auf den korrumpierbaren Verstand. Nur wisse er nicht, wie es
geht. Und aus meinen Büchern will er herausgefunden haben, daß ich wisse, wie
das geht.
Er
unterschied sich also in zwei Teile, den ursprünglichen wahren Menschen und den
zivilisierten unechten Menschen. Der Körper ist dabei als das zivilisatorisch
wilde gedacht, während unser Denken als Entfremdung vom Eigentlichen aufgefaßt
wird.
Ich
machte ihn erst einmal auf diesen strengen Dualismus aufmerksam, den ich ja in
keinem meiner Bücher vertrete. Im Gegenteil. Unser Körper kann sich irren, so
wie auch unser intellektuelles Einsichtsvermögen. Das Immunsystem irrt sich,
wenn es die Zellvermehrung einer Krebszelle nicht als Lebensbedrohung für den
Gesamtleib erkennt und der Mensch schließlich daran stirbt. Oder irren wir uns
darin, daß unser natürlicher gesunder Körper auf jeden Fall lebendig sein
will?
Der
Mann war nicht sehr zufrieden mit dieser Antwort. Worauf kann er sich denn nun
verlassen! Ist der Körper den Einflüssen von außen genauso ausgeliefert wie
der Geist? Was ist das ursprüngliche menschliche Leben? Ich mußte ihn enttäuschen.
Das
eben ist die Krux der menschlichen Freiheit. Sie macht auch vor dem eigenen Körper
nicht halt. Psychosomatische Krankheiten weisen ebenfalls darauf hin. Das zu
akzeptieren und dann die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist zu
erforschen, ist eine ziemliche Herausforderung. Wir sind eben keine Tiere, auch
wenn man es sein wollte.
4.
"Freiheit
ist, wenn ich nicht im Gefängnis sitze", "wenn ich machen kann wozu
ich Lust habe", antworten Schüler in einer Zeitung auf die Frage, was ist
Freiheit.
Wie
weit weg sind doch diese Antworten von jenen Freiheitsideen, die Dichter
besangen und Philosophen auskügelten. Ich denke an Schillers Gedicht: "Der
Mensch ist frei, geschaffen frei und wär er in Ketten geboren, laßt Euch nicht
irren des Pöbels Geschrei", und an das Lied: "Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten", und in einer anderen Strophe: "Und sperrt man
mich ein, im finsteren Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke, denn meine
Gedanken zerreissen die Schranken und Mauern entzwei, die Gedanken sind
frei." Freiheitsideen des
deutschen Idealismus, an die 200 Jahre alt. Unsere Jugendlichen verbinden mit
Freiheit nicht mehr Gedankenfreiheit, denn sie können ziemlich unzensiert und
straffrei sagen, was sie wollen. Natürlich können sie nicht alles machen, was
sie wollen, es gibt Jugendstrafen, auch Gefängnisstrafen. Wenn die körperliche
Bewegungsfreiheit im Gefängnis eingeschränkt ist, das wird als Zwang per se,
als Unfreiheit aufgefaßt. Aber es gibt immer noch Länder auf unserer Erde, in
denen Menschen ins Gefängnis gesperrt werden, weil sie etwas laut und öffentlich
denken, was verboten ist. Sie werden wie Schiller an den Sieg ihrer wahren
Gedankenrufe nach Freiheit glauben, sie werden Idealisten sein müssen. Je mehr
die politischen Mächte die einzelnen Menschen drangsalieren, desto größer
wird die Sehnsucht nach Freiheit von diesen Bedrängungen, nach Redefreiheit,
Gedankenfreiheit, Wahlfreiheit in vielen Lebensbereichen. Daß Menschen dafür kämpfen,
ist nicht zu kritisieren, oder? Nur unsere Jugendlichen haben das nicht mehr nötig
und darum können wir froh sein. Zwar gibt es natürlich Verbote und Gebote für
sie, aber sie müssen bei Verstoß nicht mit ihrem Leben bezahlen. Darum
beneiden uns manche Menschen in anderen Ländern. Eine afhganische Bekannte
blickt voller Wehmut auf mein Leben. Sie sagt: Ich würde gern die Burka
ablegen, aber dann bin ich nicht mehr sicher auf den Straßen und vor dem
Zugriff der Männer in meiner Familie und Nachbarschaft. Ich kann nicht so frei
leben wie Du."
Natürlich
müssen wir Frauen in Deutschland auch manchmal um unsere Freiheitsrechte kämpfen
im täglichen Kleinkrieg der Familien und im Berufsleben, wenn es um Beförderungen
geht, aber zumindest offiziell steht es uns zu genauso frei oder unfrei wie Männer
zu leben. Wir sind nicht absolut frei, aber vielleicht geht es auch gar nicht
darum, einer absoluten Freiheit nachzujagen. Es geht um mehr oder weniger
Freiheit im Leben, um Freiheitsgrade. Denn absolut frei kann der Mensch sowieso
nicht sein. Frei von allen Beschränkungen des Lebens und der Natur. Auch wenn
es keine Tyrannen mehr gäbe, wären wir doch von dem Tyrannen Natur abhängig.
Allein als Körperwesen sind wir abhängig von Nahrung, Schlaf und Wärme, und
als soziale Wesen sind wir abhängig von Anerkennung und Liebe. Damit sind unsere Freiheitswünsche eingebettet in
einen Rahmen, den wir nicht sprengen können. Aber innerhalb dieses Rahmens ist
immer noch viel möglich.
In
meiner philosophischen Praxis habe ich gelernt, Menschen auch danach zu
unterscheiden, wie sie selber zur Freiheit stehen. Die Philosophen
streiten meistens darum, ob der Mensch frei ist, oder determiniert? Sie
entwerfen Antworten für die Freiheit, wie die moderneren Konstruktivisten, oder
für den Determinismus, wie Spinoza oder Hegel. In Schulbüchern für den
Ethik-Unterricht werden meistens nur diese extremen Positionen Freiheit oder
Determinismus behandelt. Da läßt sich trefflich streiten. Und es gibt viele
philosophisch interessierte Menschen, die sich irgendwann für die eine oder
andere Seite entscheiden. Damit läßt sich aber schlecht in der Realität
leben. Ich kann nicht glauben, daß ich jeden Tag völlig frei darüber
entscheiden kann, ob ich gute Laune habe oder miese Laune. Andrerseits kann ich
mich auch nicht darauf verlassen, daß schon alles richtig für mich geregelt
ist, wenn ich morgens aufwache und den Tag plane. In dem Moment, wo ich selber
etwas tun muß, kommen Entscheidungsfragen ins Spiel. Nur wenn ich glaube, daß
ein Gott mir alles bestimmt, kann ich glauben, daß mein Leben völlig
determiniert ist und unabhängig von meinem Willen abläuft. Diese
Schicksalsergebenheit oder radikale Frömmigkeit gibt es natürlich, aber
philosophisch gibt es hier wenig Spielraum zur Selbstgestaltung, zur
Lebenskunst. Für mich ist es dann interessant, in welchem Grad zwischen diesen
beiden Extremen jemand sich selber und sein Leben einschätzt. Das sagt dann
etwas darüber aus, wieviel Chancen jemand darin erblickt, sich selber zu ändern
oder sich selber zu erziehen. Um 1900 nannte man das
"Selbstkultivierung". Der kultivierte Mensch galt als einer, der die
Freiheit hat, über sich selber Macht zu haben, je nach seinem Persönlichkeitsideal.
Der Philosoph Kant liegt mit seinem Freiheitsbegriff ziemlich in der Mitte
zwischen Freiheit und Determinismus. Wir sind in bestimmten Schranken unserer
Vernunft so frei, uns Regeln oder Gesetze zu geben, nach denen wir uns dann
verhalten. Der Politiker Montesquieu drückt es drastischer aus: "Die
Freiheit ist das Recht, alles zu tun, was die Gesetze erlauben".
5.
Neulich
sah ich eine Fernsehsendung über den Philosophen Karl Popper. Wie mir, so sind
auch ihm die großen Begriffe der Philosophiegeschichte suspekt. Er verweigert
es, sie zu definieren und erklärt: Wenn Sie jemand auffordert: Definieren Sie,
was Freiheit ist, oder Gerechtigkeit, dann werden Sie wohl kaum antworten können.
Heißt das aber, daß Sie nicht
wissen, was frei oder gerecht ist?
Nein, das heißt es nicht. Sie wissen sehr genau, wann Sie sich frei fühlen,
wann Sie gerecht behandelt werden.
Eine
Definition will ein Wort so erklären, das es auf alle möglichen Situationen
zutrifft. Aber lassen sich denn alle Situationen, die das Wort Freiheit meinen könnte,
in einem Satz darstellen? Es sind Lebenssituationen, die individuell, kulturell
und historisch unterschiedlich vorkommen können. Wir können Bedeutungsgruppen
bilden, wenn wir viele Freiheitsvorstellungen kennen und diese dann sortieren.
Aber eine Freiheitsvorstellung zu definieren, die für alle Menschen absolut
richtig ist, so wie der Philosoph Hegel es versuchte, das finde ich wenig
hilfreich.
Die
großen Begriffe, die früher von den Philosophen wie absolute Wahrheiten
definiert wurden, entpuppen sich mehr und mehr als sehr relative Vorstellungen.
Darum ist es müßig, eine richtige Definition von Freiheit finden zu wollen.
Wahrscheinlich hätte jeder der über 6 Milliarden Menschen, die zur Zeit auf
der Erde leben, eigene Freiheitsvorstellungen, wenn jeder die Möglichkeit hätte,
über diese Vorstellungen nachzudenken.
Allerdings
gestehe ich eine grundlegende Gemeinsamkeit in dem zu, was wahrscheinlich die
meisten Leute meinen, wenn sie von Freiheit reden. Es sind Sehnsüchte, die aus
den erlebten Beschränkungen entstehen. Je
einschneidender Beschränkungen erlebt werden, desto intensiver wird der Wunsch,
jenseits dieser Beschränkungen zu sein und desto glanzvoller erscheint in
diesem Jenseits die Alternative, das Paradies, das Reich der Freiheit.
Allerdings:
Ohne solche Sehnsüchte nach Freiheit, die in politischen Visionen oder
individuellen Träumen nach Selbstbestimmung einmünden, ist wohl ein
menschliches Leben ohne Entwicklungschance.
Es
kann also nicht darum gehen, die Sehnsucht nach Freiheit abzuschaffen und den
Begriff nicht mehr zu benutzen, sondern wir müßten mehr den Mut haben, auch so
einen großen ethischen, philosophischen und politischen Begriff im konkreten
Bezug zum eigenen Leben zu bedenken und zu relativieren.
Wenn
ein Jugendlicher es als Freiheit empfindet, mit dem gerade erworbenen Führerschein
nach den Regeln es Verkehrs auf seinem neuen Motorroller durch die Stadt zu düsen,
warum sollten wir ihn nur als oberflächliches Kind einer Spaßgesellschaft
abwerten? Die Freiheitsempfindung wird wahrscheinlich eine ähnliche sein wie
die, die Nelson Mandela hatte, als er aus dem Gefängnis kam und unbedroht seine
erste öffentliche Rede hielt. Die Empfindung, frei zu sein von dem, was einen
bis dahin beschränkt hat, bleibt als Intensität ähnlich, unabhängig davon,
wie sie verursacht wird. Das sage ich aus der Perspektive einer Leibphilosophin,
die das Menschliche mehr aus der Dimension des Erlebens zu verstehen versucht,
weniger aus objektiven oder absoluten Begriffen und seien sie philosophisch noch
so großartig.
In
meiner philosophischen Praxis begegne ich oft Menschen, die einen wahnsinnigen
Respekt haben vor Philosophie und den traditionellen philosophischen Begriffen.
Sie gehen davon aus, daß ein Philosoph besser als sie verstehen würde, worum
es im Leben geht, worum es im Denken geht und wie man am besten das Leben
insgesamt erklärt. Sie selber würden daher von ihren Gedankengängen niemals
behaupten, daß sie philosophische Gedanken ausdrücken würden. Als ob
Philosophie mit ihrem eigentlichen Leben nichts zu tun hätte und nur mehr ein
luxuriöses Hobby wäre oder ein Denksport für besonders Begabte. So wird
leider Philosophie in Deutschland oftmals auch abgewehrt, weil wir nicht wie in
Frankreich oder anderen Ländern eine philosophische Kultur und Bildung im
Bildungssystem verankert haben. Philosophieren wird oftmals mit Vielwissen,
abstraktem Reden und unpraktischem Leben gleichgesetzt, das wenig nützlich sei.
Und wer sich damit beschäftigt, gilt leicht als Spinner oder überkanditelt.
Das finde ich sehr schade, denn philosophieren heißt eigentlich, der eigenen
Weisheit folgen zu können, sie überhaupt bemerken zu können. Selber denken,
anstatt nur nachzudenken, was andere vordenken. Eine Lust am Selberdenken ist
bei uns wenig selbstverständlich. Und als Leibphilosophin gehe ich auch davon
aus, daß Selberdenken direkt auch mit Selberfühlen zusammenhängt. Eigene Gefühle
zu erleben, die nicht nur Reaktionen sind auf das, was andere in mir
verursachen, sondern verursacht sind in dem was ich selber ersehne und wünsche.
Das stärkt die Lebensfreude und macht
freier und manchmal auch liebevoller gegenüber anderen Menschen. Leibnäheres
und damit auch lebensnäheres Philosophieren macht uns auch freier gegenüber
all dem, was nicht zum eigenen Leben zu passen scheint. Es gibt uns Souveränität,
Gelassenheit, Toleranz und Weisheit gerade in Situationen, die schwierig zu bewältigen
sind.