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Es gibt so viele Gründe dafür, daß ich inzwischen keinen mehr weiß, den ich einzeln hervorheben könnte.

Als ich sechzehn war, wollte ich damit das Denken lernen. Als ich 17 war, wollte ich die Übel an den Wurzeln herausreißen können. Als ich 18 war, wollte ich mich mäßigen können. Als ich 19 war, wollte ich die schwersten Gedanken verstehen.
Als ich 20 war, wollte ich ein eigenes Weltmodell entwerfen.
Als ich 21 war wollte ich ohne Denken sein können. Als ich 22 war wollte ich lieben ohne Denkverlust. Als ich 23 war wollte ich Überblick haben. ls ich 24 war wollte ich wichtig sein. Als ich 25 war wollte ich Nietzsches beste Freundin sein. Als ich 26 war wollte ich Portraits zeichnen können mit dem tieferen Blick. Als ich 27 war wollte ich zur Ruhe kommen. Als ich 28 war wollte ich Verantwortung übernehmen. Als ich 29 war wollte ich mich als Frau heroisch interpretieren.
Als ich 30 war erlebte ich eine leibphilosophische Initiation als Gebärende. Als ich 31 war grenzte ich mein Denken ab vom Universitären. Als ich 32 war suchte ich meine Aufgabe. Als ich 33 war wollte ich Körper und Geist nicht mehr als Gegensatz denken. Als ich 34 war wollte ich mein Werk beginnen. Als ich 35 war weinte ich über die Welt. Als ich 36 war packte ich es an. Als ich 37 war wollte ich als Philosophin akzeptiert werden. Als ich 38 war mußte ich deshalb erst einmal einsam werden. Als ich 39 war fragte ich nach den Freiheitsgrenzen.
Als ich 40 war gab es keine Wurzeln. Als ich 41 war wollte ich nicht mehr philosophieren. Als ich 42 war begann ich die Weisheit zu finden. Als ich 43 war quälte mich das Nichtwissen nicht mehr. Als ich 44 war schwamm ich im griechischen Meer als eigenes Bewußtsein. Als ich 45 war klärte sich meine philosophische Richtung. Als ich 46 war wandelte ich die alten griechischen Texte für mich um. Als ich 47 war mußte ich der Fremdheit in der Welt begegnen. Als ich 48 war wurde Philosophieren zur Lebenshaltung. Als ich 49 war begriff ich mich als Initiatorin meiner Angelegenheiten.
Als ich 50 war tat ich das Normale mit Freude. Als ich 51 war pflanzte ich Rosen in die Erde. Als ich 52 war wollte ich keine Wurzeln mehr ausreißen.  Und so geht es immer weiter, alles durch mich selbst begleitet, jeden Tag und alles das ist neu immer wieder philosophieren.Bemerken, was geschieht. Initiieren, was ich will. Sein lassen können. Leben erfahren. Andere sehen. Da sein. Selber denken. Selber fühlen. Selber handeln. Immer ist dann eine Art Zeugin in mir, die alles sieht. Die Zeugin meines Erlebens. Das ist die Philosophierende. Urteilslos. Nur sehend, analysierend, fast kalt. Aber manchmal wird die Zeugin bewegt von den Herzregionen und dann schwimmt sie in Wellen voller Meere und bleibt doch Zeugin. Ohne dieses Blicken auf sich selbst und spüren durch sich selbst bei allem Tun käme es mir nicht als Philosophieren vor. Es ist integriert, weil es nichts mehr haben, sein oder tun will. Nur noch sieht, bemerkt, spürt, wahr nimmt. Das ist der philosophische Sinn vielleicht, die Philosophische Ader.Und was nützt es mir? Es begleitet mich bei allem, wie das, was Gläubige Gott nennen. Immer da, mich nie verurteilend, verstehend, manchmal wärmend, manchmal abkühlend. Der philosophische Sinn, dienstbereite Lebensintuition.
Und mit 56 denke ich, daß Philosophieren in einer wohlhabenden Gesellschaft ein Luxus ist, keine Überlebensnotwendigkeit. Überleben können wir, wenn wir jemand Erfolgreicherem gehorchen, wenn wir tun, was im Job verlangt wird, wenn wir unsere Kinder erziehen, so wie wir selber erzogen worden worden sind, wenn wir funktionieren. Am Monatsende wird eine gute Summe auf unserem Bankkonto sein mindestens zum Überleben. Was wollen wir mehr? Oder? Was nützt es Musik zu treiben und zu hören, warum sollten wir tanzen oder uns an Blumen erfreuen und schöne Bilder malen? Was nützt das wem? Alles Lebensluxus. Aber schon bei sehr frühen Ausgrabungen von Menschen von vor über 3500 Jahren sind schöne Ketten gefunden worden, Schmuck, Luxus. So etwas ist philosophieren auch. Ein Lebensluxus. Wir kommen heute in Deutschland ohne diesen Luxus aus, es gibt dafür keine verpflichtenden Unterrichtsstunden.

Luxus und so auch Denkluxus steht auf den Einsparungslisten. Und so lange wir gut funktionieren, merken wir es nicht.

Mit 58 habe ich wieder mehr Mut wenigstens meine Leibphilosophie, die doch eine Lebensfrucht ist, ruhig und unnachgiebig weiter in die Welt zu tragen. Jetzt mit selbstentwickelten Studiengängen. Selberdenken ist kein Luxus allein, es ist auch lebensnotwendig. Aber das Luxusgefühl, das Leben als solches zu genießen, dafür sind wir doch am leben, oder?