Von der Idee der Resilienz in der Philosophie   erste Seite

Sei ein Mensch und schau nach Vorn

Vortrag             

Jahrestagung "Trotzdem"- Resilienz im Kontext von Beratung

Bundesverband Katholischer Ehe-Familien- und Lebensberaterinnen- und berater e.V.

9.Mai 2007 Suhl

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, daß ich heute hier unter Ihnen als Beraterinnen und Berater in Ehe- und Familienangelegenheiten bin, denn in meiner philosophischen Praxis in Stuttgart begegnen mir ebenfalls häufig Klientinnen und Klienten, die ihre Schwere zu leben an ihren Beziehungen im nahen Umfeld festmachen.

Nicht immer geht es uns Menschen gut im Leben, aber diese Lebensschwierigkeiten gehören zum menschlichen Leben dazu. Es gibt wohl keinen Menschen, der immer und fortwährend froh und glücklich ist. Aber wie wir mit den Hindernissen und Schwierigkeiten im Leben umgehen, darauf kommt es an und darauf antwortet  die seit den neunziger Jahren existierende Resilienzforschung in der Psychologie.

Die Psychologie hat sich als Wissenschaft im medizinnahen Bereich erst vor 100 Jahren auf den eigenen Weg gemacht und war vorher immer ein Teilbereich der Philosophie gewesen. Fast alle Wissenschaften gehörten ehemals in die Philosophie und hatten so auch ihre Anfangsgründe in der Geschichte der Philosophie.

Wenn es in der psychologischen Resilienzforschung darum geht, die spontanen Lebens- und Selbstheilungskräfte der Menschen zu untersuchen um ihre Bedingungen gezielt für Therapieverfahren nutzbar zu machen, dann sehe ich hier eine philosophiehistorische Spur.

Denn der Hintergrund der Erkundung des Geheimnisses menschlicher Stärken gehört als Fragestellung in die Anfänge und Grundlagen unserer abendländischen Philosophie. Aber auch in den alten chinesischen, indischen oder arabischen und afrikanischen Weisheitslehren finden wir Ratschläge, wie wir als Menschen unser Leben gut bewältigen können.

Ich möchte mich in meinem Vortrag auf  den Bereich der europäischen Ethik konzentrieren, der in den Anfängen der Philosophie in Griechenland und Italien noch den Hauptteil des beruflichen Philosophierens ausmachte. Später ist dieser ethische Anteil in der wissenschaftlichen Philosophie (oder in der Philosophiewissenschaft, wie ich sie nenne) , immer geringer geworden. Bald kann es passieren, daß die Ethik sich aus der Philosophie akademisch gesehen ablösen wird, ebenso wie vor 100 Jahren die Psychologie. Denn sie ist zu einem sehr praktisch nutzbaren Forschungs- und Wissensfeld geworden, mit dem die verbliebene Philosophiewissenschaft nicht viel anfängt.

Ich werde Ihnen am Beispiel einiger philosophischer Ethiken zeigen, um welche Resilienzfaktoren es dabei hauptsächlich beim praktischen Philosophieren geht. Dabei ist bemerkenswert, dass der Begriff „Resilienz“ verschiedene Begriffsbedeutungen hat, je nachdem welcher Aspekt favorisiert wird. Der englische Begriff resilience bedeutet "Spannkraft, Elastizität, Strapazierfähigkeit" und kommt ursprünglich aus der Physik, wo er die Eigenschaften von Materialien bezeichnet, die nach einer Belastung flexibel wieder in ihren Ausgangszustand zurückkehren. Im lateinischen Begriff "resilere" findet sich die Bedeutung von Abprallen. Aber es ist auch im Englischen lateinnah das Wort  Silence, also Ruhe im Begriff Resilienz zu finden. Wobei das Wort Re die  Wiederherstellung von Silence, Lateinisch auch „Silencium“. Die innere Ruhe wieder herstellen. In der philosophischen Ethik wird genau die Gewinnung von innerer Ruhe oftmals als Ziel benannt. Hier heißt es dann Besonnnenheit oder Weisheit. Es lassen sich die Bedeutungen von innerer Ruhe oder Standfestigkeit oder Spannkraft verbinden, aber dazu später. Im Grunde suchte die Philosophie im Unterschied zur Psychologie schon immer die Stärken der Menschen herauszufinden, zu ihrem Trost oder zur ihrer Erziehung. Der eindimensionale Blick auf die Defizite eines Menschen vor allem in der Kindheit, ist in einer Philosophie nicht möglich, die am Ende Sophia, die Weisheit sucht.

Zum Ende des Vortrages hin werde ich Ihnen aus meiner leibphilosophischen Forschung Einblicke darüber geben, wie ich dort auf der Suche nach Resilienzfaktoren fündig werden kann. Insofern war Ihr Auftrag und Ihr Thema auch für meine philosophische Forschung sehr interessant.

In der alten griechischen Sprache kommt das Wort Ethik aus dem Begriff Ethos, was auch Charakter bedeutet, Sinnesart, Gewohnheit oder Sitte. Wir finden diesen Begriff noch aktiv im Wort „Berufsethos“.

In der Forschung des Resilienzfaktors  oder "R-Faktors" fragen wir nach Charaktermerkmalen, oder nach der Sinnesart eines Menschen, die ihn in Lebenskrisen unterstützt.

Das Denken über unsere Sinnesart oder über unseren Charakter ist etwa vor 2600 Jahren in Europa schriftlich nachweisbar entstanden und gilt seither als Philosophieren mit dem Zweck der Selbsterkenntnis als innere Stärkung.

Folgende Fragen begründeten damals das Philosophieren:

Wer sind wir Menschen hier auf Erden? Sind wir von Göttern abhängig? Unterliegen wir nur einem Schicksal und müssen uns allem fügen, oder können wir etwas für unser eigenes Wohlergehen tun? Können wir unser Schicksal, oder unser Leben selber beeinflussen und wenn ja, dann wie? Was sollen wir am besten hier im Leben tun und wie können wir glücklich werden? Oder sind wir gar nicht dazu gemacht, glücklich zu sein, wie Schopenhauer später behauptete und auch Siegmund Freud.

Kant meinte, wir sollten überhaupt nicht nach unserem Glück streben, wenn wir einen guten Charakter erlangen wollen, weil jeder Dieb auch nur mit seinem Diebesgut glücklich sein will.

Welche Sinnesart also ist überhaupt im Leben vorzuziehen. Können wir uns da eine aussuchen, oder ist diese nicht angeboren?

Das 5. Jahrhundert vor Chr. zählt als erste europäische Aufklärung. Was heißt hier Aufklärung? Es werden sozusagen die Menschen selbst als Wirkung verursachende Lebewesen entdeckt. Menschen sind nicht nur gebeutelt vom schlechten Wetter und dem zornigen Wettergott, sondern auch von ihren eigenen schlechten Eigenschaften.

Alles Schlechte kommt nicht nur von oben, sondern auch durch einen selbst zu Stande. Das war eine Entdeckung. Denn was ich selber tue, kann ich auch anders machen.

Und diese Selbsterkenntnis begründet all die vielen philosophischen Schriften, die damals und seither im ethischen Bereich geschrieben und diskutiert wurden und werden.

Wenn jemand in meine Philosophische Praxis kommt, mit vielen Problem und fängt an von seiner Familie und Kindheit und alles zu erzählen, dann frage ich oft: Was ist für Sie das Leben? Was bedeutet für Sie Leben? Und es kommen sehr verschiedene Antworten. Das Leben ist Kampf. Das Leben ist Ausbeutung. Das Leben ist schön. Das Leben ist unerklärlich. Das Leben ist eine einzige Katastrophe. Das Leben ist mal so und mal so. Das Leben könnte ganz anders sein. Das Leben ist so wie es ist. Das Leben meint es schlecht mit mir. Das Leben ist bunt. Das Leben ist kurz. Das Leben ist Zufall. Das Leben kommt immer dazwischen.

Es ist auch eine interessante Übung für die Selbsterkenntnis, sich selber eine Liste zu schreiben und dann am Ende zu entscheiden, was es am meisten ist, was es jetzt ist und was es sein sollte.

In der Beschäftigung damit erfahren wir unsere Sinnesart, eben was unsere Grundhaltung im Leben ist. Diese Grundhaltungen beeinflussen unsere Lebenserfahrungen. Wenn ich das Leben als Kampf ansehe, dann kann es passieren, daß ich manchmal schon zu früh kämpfe und empfinde Bedrohungen da, wo noch keine aufgetaucht sind. Manchmal gewinne ich aber auch deshalb in einer Situation, wenn sie mit starken Wettbewerbsbedingungen verknüpft ist. Dasselbe kann mich behindern oder mich befördern. Die eigene Sinnesart oder Grundhaltung zu erkennen, sie sich selber aufzuklären und dann auch umzugestalten, wenn ich eine andere Grundhaltung im Leben zum Ausdruck bringen will, darum geht es in der

Philosophischen Ethik. Der R-Faktor ist hier die Freiheit, die durch Selbsterkenntnis entsteht. Ich kann mich selbst mitgestalten. Ich kann selber Wirkung sein für etwas, was geschieht.

In der griechischen Antike wurde diese Selbstfreude an der eigenen Freiheitsmöglichkeit mit dem Zielbild des Autonomen Individuums gefeiert. Etwas übertrieben vielleicht, wie wir heute erkennen können, denn wir sind als einzelne Menschen durchaus auch abhängig von Umwelt, Politik oder anderen größeren und kleineren Zusammenhängen, aber trotzdem gibt es Freiheitsgrade in unserem Leben, die wir erkennen und nutzen können. Diesen Glauben an die eigenen Freiheitsmöglichkeiten beseelt eigentlich jede ethische Philosophie und darum kann sie auch Menschen dazu verführen, an eigene Freiheitsmöglichkeiten zu glauben und danach zu handeln. Insofern ist für mich ethisches Philosophieren immer auch ein Training, Resilienzfaktoren zu bilden.

So ist für Aristoteles das autonome unabhängige freie Individuum Ziel des Philosophierens. Er schrieb vor 2300 Jahren das erste abendländische Lehrwerk der Ethik, das später  "Nikomachische Ethik" genannt wurde.

Denn es reicht nicht, nur glücklich sein zu wollen, oder gut und tapfer und reich und schön. Wir haben im Leben die Freiheit, uns für ein Ziel zu entscheiden. Es gibt viele Ziele, aber welches Ziel habe ich als Mensch, wie möchte ich als Mensch sein? Was ist überhaupt ein gutes Ziel und welche sollten wir meiden?

Zitat: Wird nun das Erkennen jenes Zieles nicht auch für das Leben ein großes Gewicht haben, und werden wir nicht wie Bogenschützen, wenn wir unser Ziel vor Augen haben, das Gehörige besser treffen zu können? Wenn dies der Fall ist, müssen wir versuchen, wenigstens im Umriß zu erfassen, was es wohl sein mag und welcher Wissenschaft und Fähigkeit es zugeordnet ist. 55f.

Für die Zielorientierung des eigenen Lebens braucht der Mensch Fähigkeiten, die nach Aristoteles aus der Lebenserfahrung und Vernunftvermögen stammen. Wenn ich ein Ziel habe, gehe ich auch in die Planung des Handelns für das Ziel über und handele nach Plan, gerichtet auf ein Ziel. Diese Eigenschaft kann ein junger Mensch noch nicht haben. Nach Aristoteles können daher erst Knaben ab 16 Jahren glücklich sei. (Frauen haben für ihn kein Vernunftvermögen). Weil Glück definiert ist als erfolgreiche Erfüllung des vernünftig selbstgesetzten Planes. Wer planvoll handelt und die eigenen Ziele des vernünftigen Menschseins erreicht, führt ein glückseliges Leben. Vernünftig meint hier, dass wir nicht von den körperlichen Leidenschaften geführt werden, sondern von Erkenntnissen, die wir gewonnen haben Kraft unseres Verstandes und unserer Vernunft. Dabei wird die Vernunft als Kontrolleur der Triebe verstanden.

Nun ist aber nicht jedes Ziel ein „hohes Gut“, wie Aristoteles das Erstrebenswerte nennt. Was aber erstrebenswert ist und was nicht, darum geht es in der Nikomachischen Ethik.

Es geht Aristoteles bei den zu bildenden Fähigkeiten darum, jene zu finden, die uns ein gutes Leben bescheren, gut im Sinne von gesund und für sich selber glücklich, unabhängig von dem, was andere von uns erwarten. Es geht darum, eine eigene innere ethische Instanz zu entwickeln. Aristoteles nennt diese Weisheit.

Dabei stellt er ein Prinzip auf: Immer die mittlere Eigenschaft zwischen zwei extremen Eigenschaften ist die Tugend, die im handeln gelebt  werden sollte. Eine Tugend ist eine erfolgreich gelebte und mit Vernunft geplante gute Eigenschaft. So ist z.B. Mut eine Fähigkeit zwischen Übermut und Feigheit.

Und zwischen Jähzorn und Sanftmut steht der gerechte Zorn.

Zitat: Dies ist immerhin klar, daß die Mitte lobenswert ist, wo wir denn zürnen, wem wir sollen, worüber wir sollen, wie wir sollen usw. Übermaß und Mangel dagegen sind verwerflich, in kleinem Umfang wenig, in größerem mehr, in ganz großem außerordentlich. Man muß also offensichtlich die mittlere Haltung einnehmen. 145

Wir wissen auch aus der Resilienz- und Traumaforschung, daß ungefähr nur 10 % derjenigen, die etwas Schlimmes erleben, daran ernsthaft erkranken. Die anderen 90% erholen sich bald. Aristoteles würde sagen, daß die mittlere Haltung dazu am ehesten förderlich ist. Das eine Extrem ist totale Betroffenheit und Selbstzerstörung, das andere Extrem ist Gleichgültigkeit und Verdrängung. Dazwischen steht Erschütterung und danach wieder nach vorne blicken. Es ist des Menschen Freiheit, auch nach vorne zu blicken, sich einen neuen Plan zu machen und sich Ziele zu setzen. Sei ein Mensch und schau nach vorn, das wäre die mittlere Fähigkeit. Aristoteles nennt sie Besonnenheit.

Ich frage in der Praxis nicht nur: Was ist für Sie das Leben? Sondern ich frage auch: Was ist der Mensch. Was macht den Menschen aus? Nennen Sie mir eine menschliche Qualität.

Eine menschliche Qualität ist, daß wir uns erinnern können an vergangene Erlebnisse und das kann sehr prägsam sein für das Erleben der Gegenwart. Aber die entgegengesetzte menschliche Qualität ist, in die Zukunft zu denken oder zu phantasieren. Hier haben wir unsere Zielvorstellungen, die ebenfalls die Gegenwart sehr prägen können. Beide Seiten im Extrem wären resilienzschädigend. Nur in der Vergangenheit leben vermindert die Erlebnisfähigkeit in der Gegenwart und kann leer machen oder verzweifelt. Andrerseits: nur in der Zukunft leben macht gegenwartsblind und verhindert das Handeln jetzt. Der mittlere Weg wäre, Vergangenes als solches erinnern zu können, aber mit Blick auf eine Zukunft, für die jetzt gehandelt werden muß. Ein Mensch kann bewußt in der Gegenwart handeln, um etwas zukünftig Erstrebenswertes für sich zu erreichen. Diese Handlungsfähigkeit ist es, die einen resilienten Charakter ausmacht. Dabei ist Handlung immer, wie auch die Philosophin Hannah Arendt in ihrem Werk "Vita Activa" betont, durch ein ethisches Ziel definiert. Andere Tätigkeiten nennt sie Arbeit, Tun und Herstellen.

Insofern ist mein Vortragstitel zu verstehen: Sei ein Mensch und schau nach Vorn.

Die Fähigkeit, sich selbst in eine fernere Zeit zu projizieren, ist eine spezifisch menschliche. Tiere wissen nichts von ihrer Zukunft, außer sie spüren aktuelle Lebensbedrohungen. Wir haben die Freiheit zu wissen, dass wir eine Zukunft haben. Sicherlich wissen wir auch, dass wir eines Tages sterben werden, was uns nicht unbedingt erfreut, aber auch dieses Wissen prägt unser gegenwärtiges Erleben. Wir können aus Angst vor dem Tod jedes Risiko im Leben meiden, oder aber tollkühn vom Felsen ins Meer springen und den Tod immer wieder herausfordern. Die Besonnenheit dazwischen suche ich meistens in der philosophischen Praxis, wenn es um Entscheidungsfragen geht.

Außer bei Aristoteles, ließen sich sehr viele Philosophien nach Resilienzkategorien verstehen. Allein die ganze späte römische Stoa ist eine einzige Suche nach Resilenzfaktoren.

Die Frage ist: Wie finde ich seelische Ruhe und überstehe diese schreckliche Zeit? Die Römer waren in große Kriege und Besetzungen verwickelt. Jede Familie hatte mehrere Kriegstoten und Verschleppungen aufzuweisen. Wie kann man da noch glücklich sein?

Wenn wir mit diesem Hintergrund den griechischen Philosophen Epiktet lesen, der ein Sklave von Kaiser Nero war, dann finden wir die Tipps zum guten Überleben des Leidens. Tipps zur Lebenstüchtigkeit. Im Handbuch der Moral stehen folgende Sätze: Zitat:  Manches steht in unserer Macht manches nicht. In unserer Macht steht das Denken, das Handeln, das Verlangen und das Meiden - dies sind also alle Dinge in uns. Nicht in unsere Macht gegeben sind Körper, Besitz, Ansehen und Würden - also alles außer uns. Nur was in unserer Hand liegt ist frei.13

Das ist ein Grundsatz, aus dem er Verschiedenes folgert: Zitat: Bei allem, was Dich erfreut, was Dir nützt und Deine Liebe besitzt, sage dir stets, was es eigentlich ist.

Beginne mit dem Geringfügigsten. Liebst du ein Glas, so sage Dir: ich liebe ein Glas. Zerbricht es, wirst Du Dich nicht aufregen. Liebst Du Dein Kind oder Deine Frau, so sage dir: Ich liebe einen Menschen. Stirbt er, so wirst Du nicht aus der Fassung geraten. 16

Er fasst zusammen: Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellung von den Dingen....Geraten wir daher in Schwierigkeiten, in Unruhe und Sorge, so werden wir die Ursachen nie bei anderen suchen, sondern bei uns, in unseren Vorstellungen. Der Ungebildete klagt andere seiner Leiden wegen an, der Anfänger in der Philosophie sich selber. Der Wissende aber tut weder das eine noch das andere. 

Auch hier in der stoischen Ethik geht es um den mittleren Weg, den wir finden sollen. Epiktet nennt diesen den Weg der Weisheit. Oft fangen seine Ratschläge mit dem Satz an: Willst Du der Weisheit sicherer werden? Oder Strebst Du nach Weisheit?

Weisheit war ihm der Schlüsselbegriff für das, was wir Resilienzvermögen nennen, Weisheit ist auch für Aristoteles die Fähigkeit, die Mitte zwischen den Extremen zu finden.

Die stoische Weisheit formuliert Epiktet folgendermaßen: Wer also ist ein Stoiker? Zeige mir einen, der krank und glücklich, der im Sterben und glücklich, der vertrieben und glücklich, der entehrt und glücklich ist.

Die stoische Ethik gilt als eine, die das Gefühlsleben abtötet und die nur eine Verstandeshaltung trainiert. Wir wissen aus der Traumaforschung, dass Menschen, die emotional gar nicht die Phantasiefähigkeit haben, sich Vorstellungen vom Schlimmen oder Wunderschönen länger zu erzeugen, leichter mit Krisenerlebnissen umgehen können. In einer Studie der Columbia Universität nach dem Attentat auf das World Trade Center vom 11.September 2001wurde festgestellt, dass nur 12 % der Anwohner psychische Schäden davon trug. Die eher „robusteren Menschen“ waren vor den Folgeschäden bewahrt. Die meisten Menschen wurden als „robuster“ klassifiziert. Was macht diese Robustheit aus? Und gleichzeitig wären wir hier auf der Spur von Resilienzfaktoren. Der Studienleiter George Bonanno vertritt die Auffassung, dass die Robusteren eher Menschen sind, die sich ständig selber überschätzen. Sie haben von sich ein überhöhtes Selbstbild, das sie unempfindlich macht gegen die Eindrücke, die von außen auf sie zukommen. Zitat: „Selbstüberschätzer sind in der Lage, eine gute Anpassung zu bewahren, weil sie bis zu einem gewissen Grad immun dagegen sind, wie andere sie sehen.“ Psycho.heute, 32.Jahrg.Heft 11.S.12

Diese Immunität ist eine emotionale. Das Selbstbild besteht aus Vorstellungen über sich selbst, die nicht das emotionale Erleben mit anderen zum Mittelpunkt haben. Dasselbe rät die stoische und auch aristotelische Ethik. Sieh Dich selber als Weiser und lasse Dich nicht auf das ein, was Dich emotional berühren könnte. Dann sind für Dich keine Katastrophen mehr, wo andere verzweifeln. Ein R-Faktor wäre hier, sich emotional ausklinken zu können, sich auf innere Vorstellungen von sich konzentrieren zu können, auf Pläne über sich usw. Diese Innere Instanz wurde als ethisches Ziel in Kriegsgesellschaften angeraten. Nun leben wir noch immer global gesehen in Kriegszeiten. Auch wenn in der westlichen Welt es zum ersten Mal so ist, dass eine Generation, die jetzt schon über sechzig Jahre alt ist, keinen Krieg erlebt hat. Vorher war es auch hier so, wie auf anderen Kontinenten, dass jeder Mensch mindestens einmal in seinem Leben einen Krieg mitgemacht hat. Was es bedeutet, unter Kriegsereignisse zu geraten, wissen wir erst seit der neueren Traumaforschung. Gefühlsbildung, Gefühlskultur ist in solchen Zusammenhängen verpönt, weil es die Lebenstüchtigkeit beim Überleben stört. Die Sensibleren sind die Verlierer. Das ist eine nicht leicht zu verkraftende Diagnose, denn gerade in der Psychologie und Kommunikationsforschung wird auf emotionale Intelligenz Wert gelegt. In der Philosophiewissenschaft wird bis heute das emotionale Erleben als Erkenntnisquelle abgewertet. Ich versuche das in meiner Leibphilosophie zu ändern, aber dazu später.

Immerhin war dieses Anliegen, eine Balance zu finden zwischen emotionalem Erleben und vernünftigen Notwendigkeiten Grundlage der abendländischen Philosophie und Ethik. Und die US-Studie zeigt, je robuster jemand von sich selbst überzeugt ist auf Kosten seiner Sensibilität für andere Menschen und Außenwelt, desto besser steht er Krisen durch.

Aber zurück zur philosophischen Ethik und der Resilienzsuche.

Das Streben nach Weisheit und auch die Ethik als Hauptsache ist im Laufe der Philosophiegeschichte verloren gegangen. Je akademischer die Philosophie wurde, desto mehr verlagerte sich das Denken auf den reinen Vernunftbegriff, vor allem in der zweiten europäischen Aufklärung vor der Französischen Revolution in England und Frankreich. Mit Vernunft war eigentlich keine ethische Zieldimension mehr gemeint, sondern die Erkenntnistheorie eroberte die Philosophiewissenschaft. Nur der Philosoph Immanuel Kant versuchte, noch einmal Ethik und Erkenntnistätigkeit zusammen in seinem Vernunftbegriff zu verknüpfen. Aus seiner Biographie wissen wir, dass er hauptsächlich an Ethik und Moral interessiert war und dazu auch bevor er Philosophieprofessor war und auch währenddessen private Vorlesungen im Hause seines Verlegers hielt, so dass sich das Königsberger Bürgertum mit ihm einen öffentlichen Raum geschaffen hatte, über Ethik und Moral zu debattieren. Das war schon so eine Art "Philosophisches Cafe", wie es in Frankreich vor 15 Jahren gegründet wurde, und wie es inzwischen vielerorts auch in Deutschland eingeführt ist. Philosophieren als kulturelle und nicht so sehr wissenschaftliche Angelegenheit wird in das gesellschaftliche Leben integriert..

Die Engländer hatten zu Kants Zeiten gerade der Vernunft mit all ihren phantastischen Ideen abgeschworen und entwickelten den Empirismus. Alles muss mit den 5 Sinnen erfassbar erklärt sein. Die Franzosen verliebten sich zur selben Zeit neu in die Vernunft und schwelgten in großen Ideen vom Menschen und deren Freiheitsräumen. Kant suchte die Mitte von diesen Extremen und fand sie in der Ethik.

Hauptsächlich gehe es um die Frage, wie wir Menschen handeln sollen und handeln können, um in Frieden mit sich selbst und den anderen Menschen leben zu können.

Nur unsere Sinne allein könnten uns nicht sagen, was richtig und falsch im Leben ist, dann würden wir beim Lust-oder Unlusttrieb landen, das könne uns kein Handlungsträger sein. (Das ist ein Hieb gegen den englischen Empirismus). Der Mensch sei aus krummem Holz gebaut, er könne sich damit nicht verbessern im Sinne von mehr Gesundheit, Weisheit und Weltfrieden.

Wir brauchen unsere Vernunftfähigkeit, um Ziele zu formulieren und Handlungen als gut und böse beurteilen zu können. Wir können zwar mit unserer Vernunft nicht erkennen, ob das Weltall unendlich ist oder nicht, oder ob ein Gott existiert oder nicht, (ein Hieb gegen die Franzosen) aber wir können erkennen, wie wir Menschen am besten leben können miteinander und jeder für sich selbst. Dazu reicht unsere Vernunft aus. In den Grenzen dieser Vernunftauffassung formulierte er sein Werk die Kritik der reinen Vernunft und seine Ethik, die Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Er suchte die Mitte zwischen englischer und französischer Aufklärung.

Und dabei gelang es ihm auch, die Vereinseitigung der Vernunft als ethische Zielidee auf Kosten des Gefühlslebens zu überwinden.

Es gibt bei ihm das sogenannte „intellektuell gewirkte Gefühl“. Wir können rein aus unserem Denken Gefühle erzeugen. Das behauptete übrigens auch Herder in seinen Studien über die Sprache des Genies. Unser Gefühlsleben ist unserem Vernunftleben nicht entgegengesetzt, sondern kann es ergänzen.

Zum Beispiel das Gefühl der Achtung. Nur wenn ich eine Idee davon habe, was für mich ein ethisch oder moralisch vollkommener Mensch ist, kann ich Achtung vor einem Menschen empfinden und zwar deshalb, weil ich in ihm etwas von dem Vollkommen wiederentdecke, was in meiner Vernunftidee ist. Das Gefühl der Achtung ist ohne eine Idee vom guten menschsein gar nicht möglich.

Für das praktische Verhalten suchte er, was für alle Menschen das beste Handeln wäre, nicht nur wie Aristoteles für eine bestimmte elitäre kleine Bürgerschicht in Athen.

Dabei kam er auf einige Grundsätze, die ihm als bester Probierstein, wie er immer wieder schrieb, vorkam. Jeder solle sich selber bei Handlungsplänen immer wieder daran überprüfen: Ich lese Ihnen drei Formulierungen des kategorischen Imperatives vor: Erstens: „Ich soll niemals anders verfahren, als so, dass ich auch wollen könnte, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden.

Oder so ähnlich: Handle immer so, daß die Maxime Deines Handelns zum allgemeinen Gesetz werden könnte.

 Eine dritte Form des kategorischen Imperativs lautet: „Denn vernünftige Wesen stehen aller unter dem Gesetz, dass jedes derselben sich selbst und alle anderen niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. 

Der Resilienzfaktor dahinter, dass wir überhaupt uns selber solche Maßstäbe oder Prinzipien geben können, ist die bewusst gewusste oder geglaubte Freiheit, die wir haben, Kraft unserer beschränkten aber dennoch ausreichenden Vernunftbegabung uns selber Gesetze zu geben und danach zu handeln. Wer das einmal wirklich verstanden hätte, erlebe eine Revolutionierung der Denkungsart von heute auf morgen. Auch Kant besteht auf diese philosophische Sinnesart, an die Möglichkeiten der eigenen Handlungsfreiheit zu glauben. Anders sei in der menschlichen Welt nichts zum Besseren möglich.

Ein Philosoph, der sich ebenfalls dieser inneren Kunst stellte, Gefühle und Einsichten zusammenzubringen, war der verfolgte und Tbc-kranke Mönch Baruch de Spinoza im 17.Jahrhundert. Sein Leben war gebeutelt mit vielen Schrecknissen.

In seiner Ethik entwickelte er eine Affektenlehre, um das Leiden am Leben zu verringern. Dabei ging er davon aus, dass die Gefühle oder Affekte, wie er sie nennt, nach zwei Richtungen hin sortiert werden müssen. Es gibt Gefühle, die unsere Lebensfreude vermehren und es gibt Gefühle wie die der Traurigkeit, die unsere Lebensfreude vermindern. Diese genau herauszufinden ist Aufgabe seiner ethischen Lehre. Dabei hat er folgenden Grundsatz: Zitat Ein Affekt, der ein Leiden ist, hört auf ein leiden zu sein, sobald wir eine klare und deutliche Idee von ihm bilden. 299 Es gibt keine Körpererregung, von der wir nicht einen klaren und deutlichen Begriff bilden können.299

Dabei wird nicht das gesamte Gefühlsleben abgewertet, wie es in der griechischen Aufklärung und der Stoa üblich war, sondern es wird differenziert. Der Resilienzfaktor hier wäre, das Differenzierungsvermögen aus der Vernunftfähigkeit auf emotionale Selbstverhältnisse anwenden zu können. Philosophieren als Hilfe, die eigenen Emotionen zu begreifen und damit sich unabhängiger im Handeln zu machen.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben aus seiner Ethik über das Gefühl der Demut, immerhin eine hohe christliche Tugend: Zitat Demut ist keine Tugend, d.h. sie entspringt nicht aus der Vernunft.

Beweis: Demut ist Traurigkeit, die daraus entsteht, dass der Mensch sein Unvermögen ansieht...Sofern aber der Mensch sich selbst durch die wahre Vernunft erkennt, insofern nehmen wir an, dass er sein Wesen, d.h. seine Stärke erkennt. Wenn daher der Mensch, während er sich selbst betrachtet, irgendein Unvermögen an sich wahrnimmt, so kommt das nicht daher, dass er sich erkennt, sondern daher, dass sein Tätigkeitsvermögen gehemmt ist. Nehmen wir jedoch an, dass der Mensch sein Unvermögen daran einsieht, dass er etwas erkennt, was tüchtiger ist als er selbst, durch dessen Erkenntnis er sein Tätigkeitsvermögen bestimmt, dann nehmen wir nichts anderes an, als dass der Mensch sich selbst klar erkennt, oder dass sein Tätigkeitsvermögen gefördert wird. Daher entspringt die Demut oder die aus der Betrachtung des eigenen Unvermögens entstehende Traurigkeit nicht aus der wahren Betrachtung oder der Vernunft, und sie ist somit keine Tugend, sondern ein leiden, ein passiver Zustand. 240f

Sie hören, wie hier die Vernunftfähigkeit selber als Kraftquelle für die Lebenstüchtigkeit oder das Tätigkeitsvermögen angesehen wird. Vernunftfähigkeit als Resilienzfaktor. Nur da heraus ist es für Spinoza möglich, aktiv im Leben selber Ursache zu sein für etwas, was geschieht. Vernunftlosigkeit ist für ihn mit Passivität und Erleiden gleichgesetzt, also Opfermentalität und Wehrlosigkeit.

Für Spinoza ist das höchste Vernunftvermögen Gott und göttlich ist, selber Ursache sein zu können für alles was ist. Zwar ist der Mensch nicht Gott, aber es gibt eine Annäherung durch unsere Vernunftfähigkeit, die wir ausbilden können. Wir können auch Ursache werden für eine Wirkung, wenn auch nicht für alle Wirkung.

Selbst Ursache sein können ist ein ethisches Ziel. Oder wie Hannah Arendt es nennt: Anfänger sein, einen Anfang machen können, zu Handeln aus sich heraus.

In meiner Philosophischen Praxis entsteht immer wieder die Frage, wie frei bin ich. Was kann ich durch mein Handeln bewirken und was nicht. 

Es gibt auch Menschen, die sich selber nicht als Wirkursache sehen können, die das aber philosophisch erlernen können, manchmal nur in einer Sitzung.

Ein Beispiel: Eine 43 jährige Frau möchte ihr Leben ändern. Sie weiß auch genau ihr Ziel, nämlich zu studieren und Hauptschullehrerin zu werden. Aber sie weiß überhaupt nicht, wie sie das ins Handeln umsetzen kann. Das will sie von mir erlernen. Mit diesem Auftrag kam sie zu mir, da ich nach ihrer Meinung viel im Leben umgesetzt hätte von meinen Plänen. (Sie hatte meine Bücher gelesen und Vorträge gehört). Was sie hindere sei ihre Familie, ihr Mann Kinder etc.

Ich schlug vor, sie sollte ihre Situation zeichnen unter dem Aspekt, wer hat wie viel Prozent Schuld an ihrer momentanen Situation. Sie zeichnete sich selbst in die Mitte als Kreis. Ihr Mann draußen ein Kreis und 50 % Schuld und ihre Mutter 25% und ihr Vater auch 25%. Ich fragte, wie viel Schuld sie selber hätte. Sie war verdutzt, überlegte, änderte ihre Zeichnung. Sie gab sich selber 25 % mit ein paar Erklärungen, ihrem Mann zog sie 25 % ab.

Dann sahen wir uns die Situation ihres Mannes an. Wer hat Schuld an seiner Situation ihr gegenüber. Sie gab noch 10% seiner verstorbenen Mutter, die sie ihm abzog, dann gab sie sich noch 5 % mehr, die sie ihrem Vater abzog und ihrem Mann zog sie noch etwas ab, was sie seinem Vater anlastete. Ihr Mann stand plötzlich mit nur etwa 10 % individueller Schuld an ihrer Situation da und sie selber mit 30 %.

Sie zeichnete sozusagen aus der Vogelperspektive die Schuldanteile auf und wir diskutierten dabei noch über "Was ist Schuld". Der Philosoph Sartre versteht Schuldbewusstsein als Freiheitsressource oder auch Resilienzfaktor. Nur wer zu sich sagen kann, ich habe an xy Schuld, kann sich auch als Wirkung von sich selber erfahren. Nur solch ein Mensch hat etwas aus eigenen Stücken getan, was etwas bei anderen bewirkt hat. Dieser Wirkzusammenhang zwischen Freiheit und Schuldeingeständnis gibt einem das Gefühl der Freiheit zurück. Was ich falsch mache, kann ich auch wieder richtiger machen.

Des weiteren war ich als Leibphilosophin interessiert an der generellen Stimmung in ihrer Familie, die Rückschlüsse auf die Ernährungslage abgeben können. Gereizt mit schneller Erschöpfung. Ich erläuterte ihr die Bedeutung von basischer Versorgung und Übersäuerung des Körpers. Sie überlegte ihre Nahrungsmittelarten. Dann riet ich ihr, das Buch „Die Neue Medizin der Emotionen“ von David Servan-Schreiber zu lesen, vor allem das Kapitel über Omega-3-Fettsäuren. Der Vorteil einer Hausfrau ist ja, daß sie die Ernährungssituation in der Familie stark beeinflussen kann. Dass diese wiederum auf Grundstimmungen Einfluß haben und diese wiederum auf unsere Hormonbildung, ist aus der neueren Gehirnforschung bekannt.

Inzwischen, nach noch zwei Sitzungen und telefonischen Beratungen hat sie die Grundernährung der Familie verändert, weniger Gereiztheit war auffällig. Sie studiert nun und hat selber Fakten geschaffen, was für sie ein erstaunliches Erleben war. Sie hat ihre erste Zwischenprüfung gut bestanden und erzählte mir, dass ihre gleichaltrigen Kommilitoninnen fast alle mit dem Studium aufgehört hätten, weil ihre Familien Druck gemacht haben. Ihre Familie mache nicht mehr den Druck, seit sie das Ganze entspannter sieht und ihrem Mann keine großen Vorwürfe mehr macht für ihre vergangene Unfreiheit. Sie sieht jetzt auch den Mann mit seiner Last und sich mit ihren Tendenzen. Alle müssen ihr Päckchen tragen.

Besonders Frauen haben es durch die kulturelle Geschichte mit ihren Leitbildern und Rollenzuschreibungen schwer, sich selber als freiheitlich Handelnde zu erkennen. Aber bei genauerem Fragen gibt es doch Freiheitsmomente zu entdecken, Momente und Folgen, die die Frau selbst verursacht hat. Manchmal sind es erst nur kleine Momente, aber dann entsteht doch eine Freude daran, diese weiterhin zu entdecken und Neue auszuprobieren. Das Bewusstsein von Glücklichsein entsteht nicht durch große Glückserfahrungen, sondern durch gehäufte kleine Glückserfahrungen. Das Problem ist das, was schon Aristoteles schrieb: Die Krönung für ein starkes Selbstbewusstsein ist die erfolgreiche Handlung nach einem selbsterdachten Plan. Philosophieren hat hier einen direkten lebenspraktischen Nutzen. Handlungsfähigkeit zu gewinnen in einer auf den ersten Eindruck ausweglosen Situation ist die Zurückgewinnung von Resilienzvermögen. In dem Wort Vermögen steckt auch so etwas wie Reichtum, innerer Reichtum, der einem nicht weggenommen werden kann, worauf Verlass ist, weil es nur von einem selber abhängig ist. In meinem Selbstverhältnis kann ich Freiheiten erfahren. Ich kann mir vorstellen, so oder so zu sein und zu handeln. Diese Vorstellungswelt kann mir niemand wegnehmen.

Zwar ist das Gedicht von Schiller, der Mensch ist frei, geschaffen frei und wär er in Ketten geboren vielleicht etwas sehr idealistisch, aber der Glaube daran hat schon so manchen Menschen Kraft gegeben, die dieses Lied aus voller Kehle gesungen haben.

Vor hundert Jahren hat die Philosophin Helene Stöcker eine wie sie es nannte „Neue Ethik“ entwickelt, wofür es in der Reformbewegung auch die Bewegung der „Neuethikerinnen und Neuethiker“ gab. Es ging um die Überwindung des philosophischen Dualismus zwischen Körper und Geist, denken und fühlen. Unsere menschlichen Gefühle, vor allem das Gefühl der Liebe, auch der erotischen Liebe, wurde philosophisch neu aufgewertet und zwar im Gegensatz zur damals umkämpften christlichen Ethik, die alles Körperliche als sündig auffasste, vor allem die Sexualität zwischen Mann und Frau. Stöcker berief sich auf vier Faktoren, die Menschen und vor allem Frauen entwickeln müssen, damit sie im gesellschaftlichen heroischen Pionierleben ihre Pläne verwirklichen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass noch vor hundert Jahren in Deutschland Frauen nicht wählen, nicht studieren und nicht selbständig arbeiten und Geld verdienen durften.

Die vier Faktoren kann ich auch als Resilienzfaktoren bezeichnen. Erstens müssen Menschen die Fähigkeit erlangen, sich selber bestimmen zu können, dazu gehöre philosophische und ethische Bildung. Denn die Frage, wohin sich ein Mensch entwickeln soll, welches Ziel ihm vorschwebt, soll nicht nur kulturell und fremdbestimmt sein, sondern selbst bewusst gewollt.

Zweitens sollte ein Mensch die Fähigkeit erlangen, sich eine eigene Weltanschauung zu bauen. Wie ich die Welt interpretiere und mich darin einordne, wie ich mit Wissen und Bildung dabei umgehe, dazu gehört ebenfalls ethische und philosophische Bildung.

Drittens müssen Menschen die Fähigkeit entwickeln, eigene Ideen zu verwirklichen und nicht nur zu träumen. Dabei sollen ihre realisierenden Sinne geschärft werden, damit sie erkennen, wo Gelegenheiten für sie in der Realität sind. Ein Realitätssinn entsteht auch durch Wissen, Bildung und Forschung.

Viertens sollen Menschen sich in wechselseitiger Überlegenheit lieben können. Das Liebesgefühl soll sich so entwickeln, dass eine partielle Überlegenheit des anderen nicht als Selbstbedrohung erfahren wird, sondern als Bereicherung und Austauschmöglichkeit. Dabei geht sie davon aus, dass jeder Mensch speziell begabt ist und das diese Begabungen sich entwickeln können sollen. Dazu gehört eine liberale Gesellschaft, in der die Freude an Individualität zur inneren Kulturentwicklung gehört.

Diese vier inneren Kraftquellen – Selbstbestimmung, Eigene Weltanschauung, Verwirklichungssinn, Liebesfähigkeit – interpretiere ich als Resilienzfaktoren. Wer eine davon einigermaßen lebt, wird in Krisen Lösungen finden und nicht in die Selbstzerstörung abdriften.

Was also ist der Mensch? Wer bin ich als Mensch? Wie soll ich mich als Mensch vorstellen? Was ist ein Ideal von mir selber?

Sich solche philosophischen Fragen auch in Zeiten von Stress und Ausweglosigkeit zu stellen, kann zur sogenannten menschlichen Ressource zurückführen, die das Resilienzvermögen vergrößert.

Nicht über mich oder den konkreten anderen nur grübeln und im Kreis denken und fühlen, sondern auch mal abheben, die Vogelperspektive einnehmen und sich inmitten von Vielem sehen, so wie die Klientin aus meiner philosophischen Praxis, die jetzt erfolgreich studiert und ihr „Traumleben“ umsetzt.  

Im letzten Teil dieses Vortrages möchte ich auf die Resilienzgewinnung meiner Leibphilosophie eingehen. Ich forsche seit mehr als zwanzig Jahren an diesem philosophischen Weg der Selbsterkenntnis. Es gibt auch inzwischen andere Philosophinnen und Philosophen, die unser leibliches Leben stärker in ihrem Philosophieren berücksichtigen und weg gekommen sind von der normalen dualen Trennung des Menschen in Geist und Körper.

Leibphilosophie beruft sich nicht nur auf das Erdenken von Begriffssystemen wie in allen Vernunftphilosophien, sondern auch auf das Erspüren. Noch bevor wir sprachlich etwas denken, wissen wir oft schon das, worum es geht. Was ist das?

Hierbei gehe ich zurück auf das antike Streben nach Weisheit, das später in die Vernunftethik abgedriftet ist. Weisheit meint ja ein Wissen, dass mehr aus der eigenen Lebenserfahrung stammt und weniger ein Wissen aus Büchern oder der Schrift. Es ist eher eine Tugend, also eine gelebte Fähigkeit im Handeln, weniger ein abfragbares Wissen.

Wissen gewinnen können aus der eigenen Lebenserfahrung ist für mich ein Resilienzfaktor. Jemand lebt nicht einfach nur so dahin, wie er von ihm erwartet wird, wie er erzogen wurde, sondern er oder sie macht eine Erfahrung mit dem Leben, im Leben, im Erleben. Erfahrung machen heißt, sich etwas bewusst machen, was gerade geschieht. Worin bin ich involviert, was passiert da eigentlich mit mir?

Dazu ist es nicht hinreichend, nur reflektorische Vernunftfähigkeiten zu haben, also zu interpretieren, was geschieht, sondern es gehört dazu auch ein Spürvermögen, das ohne Worte innerlich orientieren kann. Im besten Falle kennen wir diese Vermögen als Intuition oder „siebten Sinn“, aber ich möchte mehr darin erkennen und das Spürvermögen selber philosophisch thematisieren. Und hier macht der Wurzelbegriff Re-silence Sinn. In die Stille gehen, zur inneren Ruhe kommen, spüren.

Wir erleben nicht nur als geistige oder fühlende  Wesen, sondern wir erleben auf verschiedenen Ebenen unseres Lebens gleichzeitig. Das Erleben und Erfahren ist eine komplexe Angelegenheit. Bisher haben wir kulturell nur die analytische Sprachebene dafür geschult, unser Erleben als Erfahrung zu verstehen. Aus der neueren Gehirnforschung wissen wir, dass unser Sprachzentrum, was wir auch Bewusstsein nennen, nur 0,0000003 % von den Informationen in Biteinheiten gezählt verarbeitet, die wir pro Sekunde insgesamt koordinieren. Darum gibt es viele Gehirnforscherinnen und Gehirnforscher, die dazu über gegangen sind, auch andere Erkenntnisquellen als die des sprachlichen Denkens anzuzapfen. Das bewusste Spüren gehört dazu. Es ist eine Erkenntnisquelle mehr, wenn ich mich und andere Menschen und die Welt besser verstehen will. Unsere bisherigen dominanten Kulturtechniken wie Lesen Schreiben und Rechnen haben dieses Spürvermögen aber nicht zum Inhalt. Wir erfahren aber, dass viele wichtige Entscheidungen intuitiv oder aus dem Bauch heraus gefällt werden und nicht immer sind diese hilfreich, vor allem dann nicht, wenn das intuitive Vermögen oder der Spürsinn unentwickelt ist.

Hier könnte sich eine neue menschliche Intelligenzform entwickeln lassen, die mehr Informationen mit dem Sprachzentrum zusammengenommen verarbeitet als ohne möglich. Ein neuer R-Faktor kann entstehen.

Menschen, die rechtzeitig spüren können, was los ist, können sich und andere besser schützen und entfalten.

Zum Spüren gehört eine positive philosophische Haltung oder ethische Sinnesart zum eigenen und fremden Körper.  Dabei wird der eigenen Körper nie als dreidimensionaler Körper erfahren, sondern hauptsächlich sozusagen von innen verspürt. Nur der Mensch da draußen kann dreidimensional wahrgenommen werden, wenn ich meine Wahrnehmung auf reines Sehen umstelle und ohne Einfühlungsvermögen versuche, den anderen zu sehen, was selten gelingt. Wir projizieren ständig von innen nach außen.

Die subjektive Erfahrung mit sich selbst ist vermischt, alles gleichzeitig. Ich nenne das eigenleibliche Erfahrung. Leiblich ist sozusagen das Spüren von mir selber. Ich kann mich nicht rein körperlich spüren, weil ich lebendig innen wahrnehme, kein toter Gegenstand für mich sein kann.

Insofern gehört zur Schulung der Weisheit die eigenleibliche Spürerfahrung mit zur Lebenserfahrung dazu, ohne diese ist Weisheit als Wissen aus Lebenserfahrung kaum zu erlangen.

Was manche unbewusst schon tun, weshalb es ja auch ohne Schulung weise Menschen gibt, kann bewusster gemacht werden. Das ist meine Arbeit als Leibphilosophin auch in meiner philosophischen Praxis.

Es geht darum, Spürqualitäten innerlich wahrzunehmen und diese als Information zu interpretieren. Wir kennen grobe Spürnisse, wie Unbehagen und Lustgefühl, aber es gibt auch feinere, die direkt das Erleben begleiten.

Hier forsche ich und das deshalb, weil ich davon ausgehe, dass wir Menschen unsere Intelligenz noch nicht zum Besten entwickelt haben.  Insofern sehe ich die Resilienzforschung als sehr hilfreich an, mehr herauszubekommen über uns als Menschen. Dabei sollte das Ziel, wohin wir uns entwickeln wollen aber offen diskutiert werden. Für eine Kriegergesellschaft reicht es aus, die innere Stärke auf die Verdrängungsfähigkeiten von Gefühlen zu verlegen und die Vernunftvermögen zu kultivieren, damit Menschen das tun, was Gesetz ist oder was sie unterschreiben. Aber für eine Friedensgesellschaft brauchen wir eine mehr emphatische Intelligenz, die es nicht gut aushält, wenn Schlimmes passiert, weshalb das Schlimme eher vermindert werden kann. Wir leben in Übergängen. Die Robusten kommen in Kriegsgesellschaften gut zurecht, in Friedensgesellschaften würden sie durch ihre Unsensibilität negativ auffallen.

Auch die Psychologie als Wissenschaft prägt unser Intelligenzvermögen mit und ist nicht wertneutral. Sie hat ethische Dimensionen. Darum darf auch in der Resilienzforschung die Frage nicht fehlen, wohin wir die Stärken der Menschen unterstützen wollen, denn wir können potenziell viele Stärken und Überlebensstrategien entwickeln. Wie aber wollen wir als Menschen sein? Wir können uns selber prägen und kultivieren. Wir sind nicht völlig festgelegt.

Das kann auch Unsicherheitsgefühle hervorrufen, eine Sehnsucht nach sehr festen gesetzten Rahmen. Hier einen weisen Mittelweg zu finden, sehe ich als ethische Herausforderung an.

Ich möchte diesen Vortrag beenden mit einer Rückwärtsbewegung in die griechische Antike zu einer Philosophin, die vor 2600 Jahren die erste Ethikerin des Abendlandes war. Sappho. Wenn es mehr nach ihr gegangen wäre in unserer Intelligenzgeschichte, könnten wir heute vielleicht mehr Informationen pro Sekunde bewusst verarbeiten und hätten vielleicht weniger Kriegsgeschichte hinter uns. Sie ist für mich eine sehr moderne Leibphilosophin, woran ich trotz einem großen Zeitbogen anknüpfen kann. Für sie ist das Spüren als Sehnsucht zum Beispiel wichtiger als alle sogenannten objektiv als schön bezeichneten und gültigen Dinge. Zitat:

Einer sagt,

Reiter sind schön,

ein anderer findet

große Kriegsschiffe

oder marschierendes

Fußvolk schön.

Ich aber nenne

schön, wonach

einer sich sehnt.

Sie sprach sich selber Definitionsmacht zu: „Ich aber nenne“, und stellt sich gegen die übliche Auffassung vom Schönen in ihrer damaligen griechischen Kriegergesellschaft. Die subjektive Kraft des Sehnens oder des Begehrens wird mit persönlicher Nennkraft belegt. Das Gefühl ist in die Vernunft, in das bewusste Erkennen,  integriert. Und das 250 Jahre vor dem reinen Vernunftphilosophen Sokrates und seinem Schüler Aristoteles.