Von
der Idee der Resilienz in der Philosophie erste Seite
Sei
ein Mensch und schau nach Vorn
Vortrag
Jahrestagung
"Trotzdem"- Resilienz im Kontext von Beratung
Bundesverband
Katholischer Ehe-Familien- und Lebensberaterinnen- und berater e.V.
9.Mai
2007 Suhl
Sehr
geehrte Damen und Herren,
ich
freue mich, daß ich heute hier unter Ihnen als Beraterinnen und Berater in Ehe-
und Familienangelegenheiten bin, denn in meiner philosophischen Praxis in
Stuttgart begegnen mir ebenfalls häufig Klientinnen und Klienten, die ihre
Schwere zu leben an ihren Beziehungen im nahen Umfeld festmachen.
Nicht
immer geht es uns Menschen gut im Leben, aber diese Lebensschwierigkeiten gehören
zum menschlichen Leben dazu. Es gibt wohl keinen Menschen, der immer und fortwährend
froh und glücklich ist. Aber wie wir mit den Hindernissen und Schwierigkeiten im Leben umgehen,
darauf kommt es an und darauf antwortet die
seit den neunziger Jahren existierende Resilienzforschung in der Psychologie.
Die
Psychologie hat sich als Wissenschaft im medizinnahen Bereich erst vor 100
Jahren auf den eigenen Weg gemacht und war vorher immer ein Teilbereich der
Philosophie gewesen. Fast alle Wissenschaften gehörten ehemals in die
Philosophie und hatten so auch ihre Anfangsgründe in der Geschichte der
Philosophie.
Wenn
es in der psychologischen Resilienzforschung darum geht, die spontanen Lebens-
und Selbstheilungskräfte der Menschen zu untersuchen um ihre Bedingungen
gezielt für Therapieverfahren nutzbar zu machen, dann sehe ich hier eine
philosophiehistorische Spur.
Denn
der Hintergrund der Erkundung des Geheimnisses menschlicher Stärken gehört als
Fragestellung in die Anfänge und Grundlagen unserer abendländischen
Philosophie. Aber auch in den alten chinesischen, indischen oder arabischen und
afrikanischen Weisheitslehren finden wir Ratschläge, wie wir als Menschen unser
Leben gut bewältigen können.
Ich
möchte mich in meinem Vortrag auf den
Bereich der europäischen Ethik konzentrieren, der in den Anfängen der
Philosophie in Griechenland und Italien noch den Hauptteil des beruflichen
Philosophierens ausmachte. Später ist dieser ethische Anteil in der
wissenschaftlichen Philosophie (oder in der Philosophiewissenschaft, wie ich sie
nenne) , immer geringer geworden. Bald kann es passieren, daß die Ethik sich
aus der Philosophie akademisch gesehen ablösen wird, ebenso wie vor 100 Jahren
die Psychologie. Denn sie ist zu einem sehr praktisch nutzbaren Forschungs- und
Wissensfeld geworden, mit dem die verbliebene Philosophiewissenschaft nicht viel
anfängt.
Ich
werde Ihnen am Beispiel einiger philosophischer Ethiken zeigen, um welche
Resilienzfaktoren es dabei hauptsächlich beim praktischen Philosophieren geht.
Dabei ist bemerkenswert, dass der Begriff „Resilienz“ verschiedene
Begriffsbedeutungen hat, je nachdem welcher Aspekt favorisiert wird. Der
englische Begriff resilience bedeutet "Spannkraft, Elastizität,
Strapazierfähigkeit" und kommt ursprünglich aus der Physik, wo er die
Eigenschaften von Materialien bezeichnet, die nach einer Belastung flexibel
wieder in ihren Ausgangszustand zurückkehren. Im lateinischen Begriff "resilere"
findet sich die Bedeutung von Abprallen. Aber es ist auch im Englischen
lateinnah das Wort Silence, also Ruhe im Begriff Resilienz zu finden.
Wobei das Wort Re die Wiederherstellung von Silence, Lateinisch
auch „Silencium“. Die innere Ruhe wieder herstellen. In der philosophischen
Ethik wird genau die Gewinnung von innerer Ruhe oftmals als Ziel benannt. Hier
heißt es dann Besonnnenheit oder Weisheit. Es lassen sich die Bedeutungen von
innerer Ruhe oder Standfestigkeit oder Spannkraft verbinden, aber dazu später. Im Grunde suchte
die Philosophie im Unterschied zur Psychologie schon immer die Stärken der
Menschen herauszufinden, zu ihrem Trost oder zur ihrer Erziehung. Der
eindimensionale Blick auf die Defizite eines Menschen vor allem in der Kindheit,
ist in einer Philosophie nicht möglich, die am Ende Sophia, die Weisheit sucht.
Zum
Ende des Vortrages hin werde ich Ihnen aus meiner leibphilosophischen Forschung
Einblicke darüber geben, wie ich dort auf der Suche nach Resilienzfaktoren fündig
werden kann. Insofern war Ihr Auftrag und Ihr Thema auch für meine
philosophische Forschung sehr interessant.
In
der alten griechischen Sprache kommt das Wort Ethik aus dem Begriff Ethos, was
auch Charakter bedeutet, Sinnesart, Gewohnheit oder Sitte. Wir finden diesen
Begriff noch aktiv im Wort „Berufsethos“.
In
der Forschung des Resilienzfaktors oder
"R-Faktors" fragen wir nach Charaktermerkmalen, oder nach der
Sinnesart eines Menschen, die ihn in Lebenskrisen unterstützt.
Das
Denken über unsere Sinnesart oder über unseren Charakter ist etwa vor 2600
Jahren in Europa schriftlich nachweisbar entstanden und gilt seither als
Philosophieren mit dem Zweck der Selbsterkenntnis als innere Stärkung.
Folgende
Fragen begründeten damals das Philosophieren:
Wer
sind wir Menschen hier auf Erden? Sind wir von Göttern abhängig? Unterliegen
wir nur einem Schicksal und müssen uns allem fügen, oder können wir etwas für
unser eigenes Wohlergehen tun? Können wir unser Schicksal, oder unser Leben
selber beeinflussen und wenn ja, dann wie? Was sollen wir am besten hier im
Leben tun und wie können wir glücklich werden? Oder sind wir gar nicht dazu
gemacht, glücklich zu sein, wie Schopenhauer später behauptete und auch
Siegmund Freud.
Kant
meinte, wir sollten überhaupt nicht nach unserem Glück streben, wenn wir einen
guten Charakter erlangen wollen, weil jeder Dieb auch nur mit seinem Diebesgut
glücklich sein will.
Welche
Sinnesart also ist überhaupt im Leben vorzuziehen. Können wir uns da eine
aussuchen, oder ist diese nicht angeboren?
Das
5. Jahrhundert vor Chr. zählt als erste europäische Aufklärung. Was heißt
hier Aufklärung? Es werden sozusagen die Menschen selbst als Wirkung
verursachende Lebewesen entdeckt. Menschen sind nicht nur gebeutelt vom
schlechten Wetter und dem zornigen Wettergott, sondern auch von ihren eigenen
schlechten Eigenschaften.
Alles
Schlechte kommt nicht nur von oben, sondern auch durch einen selbst zu Stande.
Das war eine Entdeckung. Denn was ich selber tue, kann ich auch anders machen.
Und
diese Selbsterkenntnis begründet all die vielen philosophischen Schriften, die
damals und seither im ethischen Bereich geschrieben und diskutiert wurden und
werden.
Wenn
jemand in meine Philosophische Praxis kommt, mit vielen Problem und fängt an
von seiner Familie und Kindheit und alles zu erzählen, dann frage ich oft: Was
ist für Sie das Leben? Was bedeutet für Sie Leben? Und es kommen sehr
verschiedene Antworten. Das Leben ist
Kampf. Das Leben ist Ausbeutung. Das Leben ist schön. Das Leben ist unerklärlich.
Das Leben ist eine einzige Katastrophe. Das Leben ist mal so und mal so. Das
Leben könnte ganz anders sein. Das Leben ist so wie es ist. Das Leben meint es
schlecht mit mir. Das Leben ist bunt. Das Leben ist kurz. Das Leben ist Zufall.
Das Leben kommt immer dazwischen.
Es
ist auch eine interessante Übung für die Selbsterkenntnis, sich selber eine
Liste zu schreiben und dann am Ende zu entscheiden, was es am meisten ist, was
es jetzt ist und was es sein sollte.
In
der Beschäftigung damit erfahren wir unsere Sinnesart, eben was unsere
Grundhaltung im Leben ist. Diese Grundhaltungen beeinflussen unsere
Lebenserfahrungen. Wenn ich das Leben als Kampf ansehe, dann kann es passieren,
daß ich manchmal schon zu früh kämpfe und empfinde Bedrohungen da, wo noch
keine aufgetaucht sind. Manchmal gewinne ich aber auch deshalb in einer
Situation, wenn sie mit starken Wettbewerbsbedingungen verknüpft ist. Dasselbe
kann mich behindern oder mich befördern. Die eigene Sinnesart oder Grundhaltung
zu erkennen, sie sich selber aufzuklären und dann auch umzugestalten, wenn ich
eine andere Grundhaltung im Leben zum Ausdruck bringen will, darum geht es in
der
Philosophischen
Ethik. Der R-Faktor ist hier die Freiheit, die durch Selbsterkenntnis entsteht.
Ich kann mich selbst mitgestalten. Ich kann selber Wirkung sein für etwas, was
geschieht.
In
der griechischen Antike wurde diese Selbstfreude an der eigenen Freiheitsmöglichkeit
mit dem Zielbild des Autonomen Individuums gefeiert. Etwas übertrieben
vielleicht, wie wir heute erkennen können, denn wir sind als einzelne Menschen
durchaus auch abhängig von Umwelt, Politik oder anderen größeren und
kleineren Zusammenhängen, aber trotzdem gibt es Freiheitsgrade in unserem
Leben, die wir erkennen und nutzen können. Diesen Glauben an die eigenen
Freiheitsmöglichkeiten beseelt eigentlich jede ethische Philosophie und darum
kann sie auch Menschen dazu verführen, an eigene Freiheitsmöglichkeiten zu
glauben und danach zu handeln. Insofern ist für mich ethisches Philosophieren
immer auch ein Training, Resilienzfaktoren zu bilden.
So
ist für Aristoteles das autonome unabhängige freie Individuum Ziel des
Philosophierens. Er schrieb vor 2300 Jahren das erste abendländische Lehrwerk
der Ethik, das später "Nikomachische
Ethik" genannt wurde.
Denn
es reicht nicht, nur glücklich sein zu wollen, oder gut und tapfer und reich
und schön. Wir haben im Leben die Freiheit, uns für ein Ziel zu entscheiden.
Es gibt viele Ziele, aber welches Ziel habe ich als Mensch, wie möchte ich als
Mensch sein? Was ist überhaupt ein gutes Ziel und welche sollten wir meiden?
Zitat:
Wird nun das Erkennen jenes Zieles nicht auch für das Leben ein großes Gewicht
haben, und werden wir nicht wie Bogenschützen, wenn wir unser Ziel vor Augen
haben, das Gehörige besser treffen zu können? Wenn dies der Fall ist, müssen
wir versuchen, wenigstens im Umriß zu erfassen, was es wohl sein mag und
welcher Wissenschaft und Fähigkeit es zugeordnet ist. 55f.
Für
die Zielorientierung des eigenen Lebens braucht der Mensch Fähigkeiten, die
nach Aristoteles aus der Lebenserfahrung und Vernunftvermögen stammen. Wenn ich
ein Ziel habe, gehe ich auch in die Planung des Handelns für das Ziel über und
handele nach Plan, gerichtet auf ein Ziel. Diese Eigenschaft kann ein junger
Mensch noch nicht haben. Nach Aristoteles können daher erst Knaben ab 16 Jahren
glücklich sei. (Frauen haben für ihn kein Vernunftvermögen). Weil Glück
definiert ist als erfolgreiche Erfüllung des vernünftig selbstgesetzten
Planes. Wer planvoll handelt und die eigenen Ziele des vernünftigen Menschseins
erreicht, führt ein glückseliges Leben. Vernünftig meint hier, dass wir nicht
von den körperlichen Leidenschaften geführt werden, sondern von Erkenntnissen,
die wir gewonnen haben Kraft unseres Verstandes und unserer Vernunft. Dabei wird
die Vernunft als Kontrolleur der Triebe verstanden.
Nun
ist aber nicht jedes Ziel ein „hohes Gut“, wie Aristoteles das
Erstrebenswerte nennt. Was aber erstrebenswert ist und was nicht, darum geht es
in der Nikomachischen Ethik.
Es
geht Aristoteles bei den zu bildenden Fähigkeiten darum, jene zu finden, die
uns ein gutes Leben bescheren, gut im Sinne von gesund und für sich selber glücklich,
unabhängig von dem, was andere von uns erwarten. Es geht darum, eine eigene
innere ethische Instanz zu entwickeln. Aristoteles nennt diese Weisheit.
Dabei
stellt er ein Prinzip auf: Immer die mittlere Eigenschaft zwischen zwei extremen
Eigenschaften ist die Tugend, die im handeln gelebt
werden sollte. Eine Tugend ist eine erfolgreich gelebte und mit Vernunft
geplante gute Eigenschaft. So ist z.B. Mut eine Fähigkeit zwischen Übermut und
Feigheit.
Und
zwischen Jähzorn und Sanftmut steht der gerechte Zorn.
Zitat:
Dies ist immerhin klar, daß die Mitte
lobenswert ist, wo wir denn zürnen, wem wir sollen, worüber wir sollen, wie
wir sollen usw. Übermaß und Mangel dagegen sind verwerflich, in kleinem Umfang
wenig, in größerem mehr, in ganz großem außerordentlich. Man muß also
offensichtlich die mittlere Haltung einnehmen. 145
Wir
wissen auch aus der Resilienz- und Traumaforschung, daß ungefähr nur 10 %
derjenigen, die etwas Schlimmes erleben, daran ernsthaft erkranken. Die anderen
90% erholen sich bald. Aristoteles würde sagen, daß die mittlere Haltung dazu
am ehesten förderlich ist. Das eine Extrem ist totale Betroffenheit und
Selbstzerstörung, das andere Extrem ist Gleichgültigkeit und Verdrängung.
Dazwischen steht Erschütterung und danach wieder nach vorne blicken. Es ist des
Menschen Freiheit, auch nach vorne zu blicken, sich einen neuen Plan zu machen
und sich Ziele zu setzen. Sei ein Mensch und schau nach vorn, das wäre
die mittlere Fähigkeit. Aristoteles nennt sie Besonnenheit.
Ich
frage in der Praxis nicht nur: Was ist für Sie das Leben? Sondern ich frage
auch: Was ist der Mensch. Was macht den Menschen aus? Nennen Sie mir eine
menschliche Qualität.
Eine
menschliche Qualität ist, daß wir uns erinnern können an vergangene
Erlebnisse und das kann sehr prägsam sein für das Erleben der Gegenwart. Aber
die entgegengesetzte menschliche Qualität ist, in die Zukunft zu denken oder zu
phantasieren. Hier haben wir unsere Zielvorstellungen, die ebenfalls die
Gegenwart sehr prägen können. Beide Seiten im Extrem wären resilienzschädigend.
Nur in der Vergangenheit leben vermindert die Erlebnisfähigkeit in der
Gegenwart und kann leer machen oder verzweifelt. Andrerseits: nur in der Zukunft
leben macht gegenwartsblind und verhindert das Handeln jetzt. Der mittlere Weg wäre,
Vergangenes als solches erinnern zu können, aber mit Blick auf eine Zukunft, für
die jetzt gehandelt werden muß. Ein Mensch kann bewußt in der Gegenwart
handeln, um etwas zukünftig Erstrebenswertes für sich zu erreichen. Diese
Handlungsfähigkeit ist es, die einen resilienten Charakter ausmacht. Dabei ist
Handlung immer, wie auch die Philosophin Hannah Arendt in ihrem Werk "Vita
Activa" betont, durch ein ethisches Ziel definiert. Andere Tätigkeiten
nennt sie Arbeit, Tun und Herstellen.
Insofern
ist mein Vortragstitel zu verstehen: Sei
ein Mensch und schau nach Vorn.
Die
Fähigkeit, sich selbst in eine fernere Zeit zu projizieren, ist eine spezifisch
menschliche. Tiere wissen nichts von ihrer Zukunft, außer sie spüren aktuelle
Lebensbedrohungen. Wir haben die Freiheit zu wissen, dass wir eine Zukunft
haben. Sicherlich wissen wir auch, dass wir eines Tages sterben werden, was uns
nicht unbedingt erfreut, aber auch dieses Wissen prägt unser gegenwärtiges
Erleben. Wir können aus Angst vor dem Tod jedes Risiko im Leben meiden, oder
aber tollkühn vom Felsen ins Meer springen und den Tod immer wieder
herausfordern. Die Besonnenheit dazwischen suche ich meistens in der
philosophischen Praxis, wenn es um Entscheidungsfragen geht.
Außer
bei Aristoteles, ließen sich sehr viele Philosophien nach Resilienzkategorien
verstehen. Allein die ganze späte römische Stoa ist eine einzige Suche nach
Resilenzfaktoren.
Die
Frage ist: Wie finde ich seelische Ruhe und überstehe diese schreckliche Zeit?
Die Römer waren in große Kriege und Besetzungen verwickelt. Jede Familie hatte
mehrere Kriegstoten und Verschleppungen aufzuweisen. Wie kann man da noch glücklich
sein?
Wenn
wir mit diesem Hintergrund den griechischen Philosophen Epiktet lesen, der ein
Sklave von Kaiser Nero war, dann finden wir die Tipps zum guten Überleben des
Leidens. Tipps zur Lebenstüchtigkeit. Im Handbuch der Moral stehen folgende Sätze:
Zitat: Manches steht in unserer Macht
manches nicht. In unserer Macht steht das Denken, das Handeln, das Verlangen und
das Meiden - dies sind also alle Dinge in uns. Nicht in unsere Macht gegeben
sind Körper, Besitz, Ansehen und Würden - also alles außer uns. Nur was in
unserer Hand liegt ist frei.13
Das
ist ein Grundsatz, aus dem er Verschiedenes folgert: Zitat: Bei
allem, was Dich erfreut, was Dir nützt und Deine Liebe besitzt, sage dir stets,
was es eigentlich ist.
Beginne
mit dem Geringfügigsten. Liebst du ein Glas, so sage Dir: ich liebe ein Glas.
Zerbricht es, wirst Du Dich nicht aufregen. Liebst Du Dein Kind oder Deine Frau,
so sage dir: Ich liebe einen Menschen. Stirbt er, so wirst Du nicht aus der
Fassung geraten. 16
Er
fasst zusammen: Nicht die Dinge selbst
beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellung von den Dingen....Geraten wir
daher in Schwierigkeiten, in Unruhe und Sorge, so werden wir die Ursachen nie
bei anderen suchen, sondern bei uns, in unseren Vorstellungen.
Der Ungebildete klagt andere seiner
Leiden wegen an, der Anfänger in der Philosophie sich selber. Der Wissende aber
tut weder das eine noch das andere.
Auch
hier in der stoischen Ethik geht es um den mittleren Weg, den wir finden sollen.
Epiktet nennt diesen den Weg der Weisheit. Oft fangen seine Ratschläge mit dem
Satz an: Willst Du der Weisheit sicherer
werden? Oder Strebst Du nach Weisheit?
Weisheit
war ihm der Schlüsselbegriff für das, was wir Resilienzvermögen nennen,
Weisheit ist auch für Aristoteles die Fähigkeit, die Mitte zwischen den
Extremen zu finden.
Die
stoische Weisheit formuliert Epiktet folgendermaßen: Wer also ist ein Stoiker? Zeige mir einen, der krank und glücklich, der
im Sterben und glücklich, der vertrieben und glücklich, der entehrt und glücklich
ist.
Die stoische
Ethik gilt als eine, die das Gefühlsleben abtötet und die nur eine
Verstandeshaltung trainiert. Wir wissen aus der Traumaforschung, dass Menschen,
die emotional gar nicht die Phantasiefähigkeit haben, sich Vorstellungen vom
Schlimmen oder Wunderschönen länger zu erzeugen, leichter mit
Krisenerlebnissen umgehen können. In einer Studie der Columbia Universität
nach dem Attentat auf das World Trade Center vom 11.September 2001wurde
festgestellt, dass nur 12 % der Anwohner psychische Schäden davon trug. Die
eher „robusteren Menschen“ waren vor den Folgeschäden bewahrt. Die meisten
Menschen wurden als „robuster“ klassifiziert. Was macht diese Robustheit
aus? Und gleichzeitig wären wir hier auf der Spur von Resilienzfaktoren. Der
Studienleiter George Bonanno vertritt die Auffassung, dass die Robusteren eher
Menschen sind, die sich ständig selber überschätzen. Sie haben von sich ein
überhöhtes Selbstbild, das sie unempfindlich macht gegen die Eindrücke, die
von außen auf sie zukommen. Zitat: „Selbstüberschätzer
sind in der Lage, eine gute Anpassung zu bewahren, weil sie bis zu einem
gewissen Grad immun dagegen sind, wie andere sie sehen.“ Psycho.heute,
32.Jahrg.Heft 11.S.12
Diese
Immunität ist eine emotionale. Das Selbstbild besteht aus Vorstellungen über
sich selbst, die nicht das emotionale Erleben mit anderen zum Mittelpunkt haben.
Dasselbe rät die stoische und auch aristotelische Ethik. Sieh Dich selber als
Weiser und lasse Dich nicht auf das ein, was Dich emotional berühren könnte.
Dann sind für Dich keine Katastrophen mehr, wo andere verzweifeln. Ein R-Faktor
wäre hier, sich emotional ausklinken zu können, sich auf innere Vorstellungen
von sich konzentrieren zu können, auf Pläne über sich usw. Diese Innere
Instanz wurde als ethisches Ziel in Kriegsgesellschaften angeraten. Nun leben
wir noch immer global gesehen in Kriegszeiten. Auch wenn in der westlichen Welt
es zum ersten Mal so ist, dass eine Generation, die jetzt schon über sechzig
Jahre alt ist, keinen Krieg erlebt hat. Vorher war es auch hier so, wie auf
anderen Kontinenten, dass jeder Mensch mindestens einmal in seinem Leben einen
Krieg mitgemacht hat. Was es bedeutet, unter Kriegsereignisse zu geraten, wissen
wir erst seit der neueren Traumaforschung. Gefühlsbildung, Gefühlskultur ist
in solchen Zusammenhängen verpönt, weil es die Lebenstüchtigkeit beim Überleben
stört. Die Sensibleren sind die Verlierer. Das ist eine nicht leicht zu
verkraftende Diagnose, denn gerade in der Psychologie und
Kommunikationsforschung wird auf emotionale Intelligenz Wert gelegt. In der
Philosophiewissenschaft wird bis heute das emotionale Erleben als
Erkenntnisquelle abgewertet. Ich versuche das in meiner Leibphilosophie zu ändern,
aber dazu später.
Immerhin war dieses Anliegen,
eine Balance zu finden zwischen emotionalem Erleben und vernünftigen
Notwendigkeiten Grundlage der abendländischen Philosophie und Ethik. Und die
US-Studie zeigt, je robuster jemand von sich selbst überzeugt ist auf Kosten
seiner Sensibilität für andere Menschen und Außenwelt, desto besser steht er
Krisen durch.
Aber zurück zur philosophischen
Ethik und der Resilienzsuche.
Das
Streben nach Weisheit und auch die Ethik als Hauptsache ist im Laufe der
Philosophiegeschichte verloren gegangen. Je akademischer die Philosophie wurde,
desto mehr verlagerte sich das Denken auf den reinen Vernunftbegriff, vor allem
in der zweiten europäischen Aufklärung vor der Französischen Revolution in
England und Frankreich. Mit Vernunft war eigentlich keine ethische Zieldimension
mehr gemeint, sondern die Erkenntnistheorie eroberte die
Philosophiewissenschaft. Nur der Philosoph Immanuel Kant versuchte, noch einmal
Ethik und Erkenntnistätigkeit zusammen in seinem Vernunftbegriff zu verknüpfen.
Aus seiner Biographie wissen wir, dass er hauptsächlich an Ethik und Moral
interessiert war und dazu auch bevor er Philosophieprofessor war und auch währenddessen
private Vorlesungen im Hause seines Verlegers hielt, so dass sich das Königsberger
Bürgertum mit ihm einen öffentlichen Raum geschaffen hatte, über Ethik und
Moral zu debattieren. Das war schon so eine Art "Philosophisches
Cafe", wie es in Frankreich vor 15 Jahren gegründet wurde, und wie es
inzwischen vielerorts auch in Deutschland eingeführt ist. Philosophieren als
kulturelle und nicht so sehr wissenschaftliche Angelegenheit wird in das
gesellschaftliche Leben integriert..
Die
Engländer hatten zu Kants Zeiten gerade der Vernunft mit all ihren
phantastischen Ideen abgeschworen und entwickelten den Empirismus. Alles muss
mit den 5 Sinnen erfassbar erklärt sein. Die Franzosen verliebten sich zur
selben Zeit neu in die Vernunft und schwelgten in großen Ideen vom Menschen und
deren Freiheitsräumen. Kant suchte die Mitte von diesen Extremen und fand sie
in der Ethik.
Hauptsächlich
gehe es um die Frage, wie wir Menschen handeln sollen und handeln können, um in
Frieden mit sich selbst und den anderen Menschen leben zu können.
Nur
unsere Sinne allein könnten uns nicht sagen, was richtig und falsch im Leben
ist, dann würden wir beim Lust-oder Unlusttrieb landen, das könne uns kein
Handlungsträger sein. (Das ist ein Hieb gegen den englischen Empirismus). Der
Mensch sei aus krummem Holz gebaut, er könne sich damit nicht verbessern im
Sinne von mehr Gesundheit, Weisheit und Weltfrieden.
Wir
brauchen unsere Vernunftfähigkeit, um Ziele zu formulieren und Handlungen als
gut und böse beurteilen zu können. Wir können zwar mit unserer Vernunft nicht
erkennen, ob das Weltall unendlich ist oder nicht, oder ob ein Gott existiert
oder nicht, (ein Hieb gegen die Franzosen) aber wir können erkennen, wie wir
Menschen am besten leben können miteinander und jeder für sich selbst. Dazu
reicht unsere Vernunft aus. In den Grenzen dieser Vernunftauffassung formulierte
er sein Werk die Kritik der reinen Vernunft und seine Ethik, die Grundlegung der
Metaphysik der Sitten. Er suchte die Mitte zwischen englischer und französischer
Aufklärung.
Und
dabei gelang es ihm auch, die Vereinseitigung der Vernunft als ethische Zielidee
auf Kosten des Gefühlslebens zu überwinden.
Es
gibt bei ihm das sogenannte „intellektuell gewirkte Gefühl“. Wir können
rein aus unserem Denken Gefühle erzeugen. Das behauptete übrigens auch Herder
in seinen Studien über die Sprache des Genies. Unser Gefühlsleben ist unserem
Vernunftleben nicht entgegengesetzt, sondern kann es ergänzen.
Zum
Beispiel das Gefühl der Achtung. Nur wenn ich eine Idee davon habe, was für
mich ein ethisch oder moralisch vollkommener Mensch ist, kann ich Achtung vor
einem Menschen empfinden und zwar deshalb, weil ich in ihm etwas von dem
Vollkommen wiederentdecke, was in meiner Vernunftidee ist. Das Gefühl der
Achtung ist ohne eine Idee vom guten menschsein gar nicht möglich.
Für
das praktische Verhalten suchte er, was für alle Menschen das beste Handeln wäre, nicht nur wie Aristoteles für
eine bestimmte elitäre kleine Bürgerschicht in Athen.
Dabei
kam er auf einige Grundsätze, die ihm als bester Probierstein, wie er immer
wieder schrieb, vorkam. Jeder solle sich selber bei Handlungsplänen immer
wieder daran überprüfen: Ich lese Ihnen drei Formulierungen des kategorischen
Imperatives vor: Erstens: „Ich soll
niemals anders verfahren, als so, dass ich auch wollen könnte, meine Maxime
solle ein allgemeines Gesetz werden.
Oder
so ähnlich: Handle immer so, daß die Maxime Deines Handelns zum allgemeinen
Gesetz werden könnte.
Eine
dritte Form des kategorischen Imperativs lautet: „Denn
vernünftige Wesen stehen aller unter dem Gesetz, dass jedes derselben sich
selbst und alle anderen niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als
Zweck an sich selbst behandeln solle.“
Der
Resilienzfaktor dahinter, dass wir überhaupt uns selber solche Maßstäbe oder
Prinzipien geben können, ist die bewusst gewusste oder geglaubte Freiheit, die
wir haben, Kraft unserer beschränkten aber dennoch ausreichenden
Vernunftbegabung uns selber Gesetze zu geben und danach zu handeln. Wer das
einmal wirklich verstanden hätte, erlebe eine Revolutionierung der Denkungsart
von heute auf morgen. Auch Kant besteht auf diese philosophische Sinnesart, an
die Möglichkeiten der eigenen Handlungsfreiheit zu glauben. Anders sei in der
menschlichen Welt nichts zum Besseren möglich.
Ein
Philosoph, der sich ebenfalls dieser inneren Kunst stellte, Gefühle und
Einsichten zusammenzubringen, war der verfolgte und Tbc-kranke Mönch Baruch de
Spinoza im 17.Jahrhundert. Sein Leben war gebeutelt mit vielen Schrecknissen.
In
seiner Ethik entwickelte er eine Affektenlehre, um das Leiden am Leben zu
verringern. Dabei ging er davon aus, dass die Gefühle oder Affekte, wie er sie
nennt, nach zwei Richtungen hin sortiert werden müssen. Es gibt Gefühle, die
unsere Lebensfreude vermehren und es gibt Gefühle wie die der Traurigkeit, die
unsere Lebensfreude vermindern. Diese genau herauszufinden ist Aufgabe seiner
ethischen Lehre. Dabei hat er folgenden Grundsatz: Zitat Ein Affekt, der ein
Leiden ist, hört auf ein leiden zu sein, sobald wir eine klare und deutliche
Idee von ihm bilden. 299 Es gibt keine Körpererregung, von der wir nicht einen
klaren und deutlichen Begriff bilden können.299
Dabei
wird nicht das gesamte Gefühlsleben abgewertet, wie es in der griechischen
Aufklärung und der Stoa üblich war, sondern es wird differenziert. Der
Resilienzfaktor hier wäre, das Differenzierungsvermögen aus der Vernunftfähigkeit
auf emotionale Selbstverhältnisse anwenden zu können. Philosophieren als
Hilfe, die eigenen Emotionen zu begreifen und damit sich unabhängiger im
Handeln zu machen.
Ich
möchte Ihnen ein Beispiel geben aus seiner Ethik über das Gefühl der Demut,
immerhin eine hohe christliche Tugend: Zitat Demut ist keine Tugend, d.h. sie
entspringt nicht aus der Vernunft.
Beweis:
Demut ist Traurigkeit, die daraus entsteht, dass der Mensch sein Unvermögen
ansieht...Sofern aber der Mensch sich selbst durch die wahre Vernunft erkennt,
insofern nehmen wir an, dass er sein Wesen, d.h. seine Stärke erkennt. Wenn
daher der Mensch, während er sich selbst betrachtet, irgendein Unvermögen an
sich wahrnimmt, so kommt das nicht daher, dass er sich erkennt, sondern daher,
dass sein Tätigkeitsvermögen gehemmt ist. Nehmen wir jedoch an, dass der
Mensch sein Unvermögen daran einsieht, dass er etwas erkennt, was tüchtiger
ist als er selbst, durch dessen Erkenntnis er sein Tätigkeitsvermögen
bestimmt, dann nehmen wir nichts anderes an, als dass der Mensch sich selbst
klar erkennt, oder dass sein Tätigkeitsvermögen gefördert wird. Daher
entspringt die Demut oder die aus der Betrachtung des eigenen Unvermögens
entstehende Traurigkeit nicht aus der wahren Betrachtung oder der Vernunft, und
sie ist somit keine Tugend, sondern ein leiden, ein passiver Zustand. 240f
Sie hören,
wie hier die Vernunftfähigkeit selber als Kraftquelle für die Lebenstüchtigkeit
oder das Tätigkeitsvermögen angesehen wird. Vernunftfähigkeit als
Resilienzfaktor. Nur da heraus ist es für Spinoza möglich, aktiv im Leben
selber Ursache zu sein für etwas, was geschieht. Vernunftlosigkeit ist für ihn
mit Passivität und Erleiden gleichgesetzt, also Opfermentalität und
Wehrlosigkeit.
Für
Spinoza ist das höchste Vernunftvermögen Gott und göttlich ist, selber
Ursache sein zu können für alles was ist. Zwar ist der Mensch nicht Gott, aber
es gibt eine Annäherung durch unsere Vernunftfähigkeit, die wir ausbilden können.
Wir können auch Ursache werden für eine Wirkung, wenn auch nicht für alle
Wirkung.
Selbst
Ursache sein können ist ein ethisches Ziel. Oder wie Hannah Arendt es nennt:
Anfänger sein, einen Anfang machen können, zu Handeln aus sich heraus.
In
meiner Philosophischen Praxis entsteht immer wieder die Frage, wie frei bin ich.
Was kann ich durch mein Handeln bewirken und was nicht.
Es
gibt auch Menschen, die sich selber nicht als Wirkursache sehen können, die das
aber philosophisch erlernen können, manchmal nur in einer Sitzung.
Ein
Beispiel: Eine 43 jährige Frau möchte ihr Leben ändern. Sie weiß auch genau
ihr Ziel, nämlich zu studieren und Hauptschullehrerin zu werden. Aber sie weiß
überhaupt nicht, wie sie das ins Handeln umsetzen kann. Das will sie von mir
erlernen. Mit diesem Auftrag kam sie zu mir, da ich nach ihrer Meinung viel im
Leben umgesetzt hätte von meinen Plänen. (Sie hatte meine Bücher gelesen und
Vorträge gehört). Was sie hindere sei ihre Familie, ihr Mann Kinder etc.
Ich
schlug vor, sie sollte ihre Situation zeichnen unter dem Aspekt, wer hat wie
viel Prozent Schuld an ihrer momentanen Situation. Sie zeichnete sich selbst in
die Mitte als Kreis. Ihr Mann draußen ein Kreis und 50 % Schuld und ihre Mutter
25% und ihr Vater auch 25%. Ich fragte, wie viel Schuld sie selber hätte. Sie
war verdutzt, überlegte, änderte ihre Zeichnung. Sie gab sich selber 25 % mit
ein paar Erklärungen, ihrem Mann zog sie 25 % ab.
Dann
sahen wir uns die Situation ihres Mannes an. Wer hat Schuld an seiner Situation
ihr gegenüber. Sie gab noch 10% seiner verstorbenen Mutter, die sie ihm abzog,
dann gab sie sich noch 5 % mehr, die sie ihrem Vater abzog und ihrem Mann zog
sie noch etwas ab, was sie seinem Vater anlastete. Ihr Mann stand plötzlich mit
nur etwa 10 % individueller Schuld an ihrer Situation da und sie selber mit 30
%.
Sie
zeichnete sozusagen aus der Vogelperspektive die Schuldanteile auf und wir
diskutierten dabei noch über "Was ist Schuld". Der Philosoph Sartre
versteht Schuldbewusstsein als Freiheitsressource oder auch Resilienzfaktor. Nur
wer zu sich sagen kann, ich habe an xy Schuld, kann sich auch als Wirkung von
sich selber erfahren. Nur solch ein Mensch hat etwas aus eigenen Stücken getan,
was etwas bei anderen bewirkt hat. Dieser Wirkzusammenhang zwischen Freiheit und
Schuldeingeständnis gibt einem das Gefühl der Freiheit zurück. Was ich falsch
mache, kann ich auch wieder richtiger machen.
Des
weiteren war ich als Leibphilosophin interessiert an der generellen Stimmung in
ihrer Familie, die Rückschlüsse auf die Ernährungslage abgeben können.
Gereizt mit schneller Erschöpfung. Ich erläuterte ihr die Bedeutung von
basischer Versorgung und Übersäuerung des Körpers. Sie überlegte ihre
Nahrungsmittelarten. Dann riet ich ihr, das Buch „Die Neue Medizin der
Emotionen“ von David Servan-Schreiber zu lesen, vor allem das Kapitel über
Omega-3-Fettsäuren. Der Vorteil einer Hausfrau ist ja, daß sie die Ernährungssituation
in der Familie stark beeinflussen kann. Dass diese wiederum auf Grundstimmungen
Einfluß haben und diese wiederum auf unsere Hormonbildung, ist aus der neueren
Gehirnforschung bekannt.
Inzwischen,
nach noch zwei Sitzungen und telefonischen Beratungen hat sie die Grundernährung
der Familie verändert, weniger Gereiztheit war auffällig. Sie studiert nun und
hat selber Fakten geschaffen, was für sie ein erstaunliches Erleben war. Sie
hat ihre erste Zwischenprüfung gut bestanden und erzählte mir, dass ihre
gleichaltrigen Kommilitoninnen fast alle mit dem Studium aufgehört hätten,
weil ihre Familien Druck gemacht haben. Ihre Familie mache nicht mehr den Druck,
seit sie das Ganze entspannter sieht und ihrem Mann keine großen Vorwürfe mehr
macht für ihre vergangene Unfreiheit. Sie sieht jetzt auch den Mann mit seiner
Last und sich mit ihren Tendenzen. Alle müssen ihr Päckchen tragen.
Besonders
Frauen haben es durch die kulturelle Geschichte mit ihren Leitbildern und
Rollenzuschreibungen schwer, sich selber als freiheitlich Handelnde zu erkennen.
Aber bei genauerem Fragen gibt es doch Freiheitsmomente zu entdecken, Momente
und Folgen, die die Frau selbst verursacht hat. Manchmal sind es erst nur kleine
Momente, aber dann entsteht doch eine Freude daran, diese weiterhin zu entdecken
und Neue auszuprobieren. Das Bewusstsein von Glücklichsein entsteht nicht durch
große Glückserfahrungen, sondern durch gehäufte kleine Glückserfahrungen.
Das Problem ist das, was schon Aristoteles schrieb: Die Krönung für ein
starkes Selbstbewusstsein ist die erfolgreiche Handlung nach einem
selbsterdachten Plan. Philosophieren hat hier einen direkten lebenspraktischen
Nutzen. Handlungsfähigkeit zu gewinnen in einer auf den ersten Eindruck
ausweglosen Situation ist die Zurückgewinnung von Resilienzvermögen. In dem
Wort Vermögen steckt auch so etwas wie Reichtum, innerer Reichtum, der einem
nicht weggenommen werden kann, worauf Verlass ist, weil es nur von einem selber
abhängig ist. In meinem Selbstverhältnis kann ich Freiheiten erfahren. Ich
kann mir vorstellen, so oder so zu sein und zu handeln. Diese Vorstellungswelt
kann mir niemand wegnehmen.
Zwar
ist das Gedicht von Schiller, der Mensch
ist frei, geschaffen frei und wär er in Ketten geboren vielleicht etwas
sehr idealistisch, aber der Glaube daran hat schon so manchen Menschen Kraft
gegeben, die dieses Lied aus voller Kehle gesungen haben.
Vor
hundert Jahren hat die Philosophin Helene Stöcker eine wie sie es nannte
„Neue Ethik“ entwickelt, wofür es in der Reformbewegung auch die Bewegung
der „Neuethikerinnen und Neuethiker“ gab. Es ging um die Überwindung des
philosophischen Dualismus zwischen Körper und Geist, denken und fühlen. Unsere
menschlichen Gefühle, vor allem das Gefühl der Liebe, auch der erotischen
Liebe, wurde philosophisch neu aufgewertet und zwar im Gegensatz zur damals umkämpften
christlichen Ethik, die alles Körperliche als sündig auffasste, vor allem die
Sexualität zwischen Mann und Frau. Stöcker berief sich auf vier Faktoren, die
Menschen und vor allem Frauen entwickeln müssen, damit sie im
gesellschaftlichen heroischen Pionierleben ihre Pläne verwirklichen können.
Wir dürfen nicht vergessen, dass noch vor hundert Jahren in Deutschland Frauen
nicht wählen, nicht studieren und nicht selbständig arbeiten und Geld
verdienen durften.
Die
vier Faktoren kann ich auch als Resilienzfaktoren bezeichnen. Erstens müssen
Menschen die Fähigkeit erlangen, sich selber bestimmen zu können, dazu gehöre
philosophische und ethische Bildung. Denn die Frage, wohin sich ein Mensch
entwickeln soll, welches Ziel ihm vorschwebt, soll nicht nur kulturell und
fremdbestimmt sein, sondern selbst bewusst gewollt.
Zweitens
sollte ein Mensch die Fähigkeit erlangen, sich eine eigene Weltanschauung zu
bauen. Wie ich die Welt interpretiere und mich darin einordne, wie ich mit
Wissen und Bildung dabei umgehe, dazu gehört ebenfalls ethische und
philosophische Bildung.
Drittens
müssen Menschen die Fähigkeit entwickeln, eigene Ideen zu verwirklichen und
nicht nur zu träumen. Dabei sollen ihre realisierenden Sinne geschärft werden,
damit sie erkennen, wo Gelegenheiten für sie in der Realität sind. Ein Realitätssinn
entsteht auch durch Wissen, Bildung und Forschung.
Viertens
sollen Menschen sich in wechselseitiger Überlegenheit lieben können. Das
Liebesgefühl soll sich so entwickeln, dass eine partielle Überlegenheit des
anderen nicht als Selbstbedrohung erfahren wird, sondern als Bereicherung und
Austauschmöglichkeit. Dabei geht sie davon aus, dass jeder Mensch speziell
begabt ist und das diese Begabungen sich entwickeln können sollen. Dazu gehört
eine liberale Gesellschaft, in der die Freude an Individualität zur inneren
Kulturentwicklung gehört.
Diese
vier inneren Kraftquellen – Selbstbestimmung, Eigene Weltanschauung,
Verwirklichungssinn, Liebesfähigkeit – interpretiere ich als
Resilienzfaktoren. Wer eine davon einigermaßen lebt, wird in Krisen Lösungen
finden und nicht in die Selbstzerstörung abdriften.
Was
also ist der Mensch? Wer bin ich als Mensch? Wie soll ich mich als Mensch
vorstellen? Was ist ein Ideal von mir selber?
Sich
solche philosophischen Fragen auch in Zeiten von Stress und Ausweglosigkeit zu
stellen, kann zur sogenannten menschlichen Ressource zurückführen, die das
Resilienzvermögen vergrößert.
Nicht
über mich oder den konkreten anderen nur grübeln und im Kreis denken und fühlen,
sondern auch mal abheben, die Vogelperspektive einnehmen und sich inmitten von
Vielem sehen, so wie die Klientin aus meiner philosophischen Praxis, die jetzt
erfolgreich studiert und ihr „Traumleben“ umsetzt.
Im
letzten Teil dieses Vortrages möchte ich auf die Resilienzgewinnung meiner
Leibphilosophie eingehen. Ich forsche seit mehr als zwanzig Jahren an diesem
philosophischen Weg der Selbsterkenntnis. Es gibt auch inzwischen andere
Philosophinnen und Philosophen, die unser leibliches Leben stärker in ihrem
Philosophieren berücksichtigen und weg gekommen sind von der normalen dualen
Trennung des Menschen in Geist und Körper.
Leibphilosophie
beruft sich nicht nur auf das Erdenken von Begriffssystemen wie in allen
Vernunftphilosophien, sondern auch auf das Erspüren. Noch bevor wir sprachlich
etwas denken, wissen wir oft schon das, worum es geht. Was ist das?
Hierbei
gehe ich zurück auf das antike Streben nach Weisheit, das später in die
Vernunftethik abgedriftet ist. Weisheit meint ja ein Wissen, dass mehr aus der
eigenen Lebenserfahrung stammt und weniger ein Wissen aus Büchern oder der
Schrift. Es ist eher eine Tugend, also eine gelebte Fähigkeit im Handeln,
weniger ein abfragbares Wissen.
Wissen
gewinnen können aus der eigenen Lebenserfahrung ist für mich ein
Resilienzfaktor. Jemand lebt nicht einfach nur so dahin, wie er von ihm erwartet
wird, wie er erzogen wurde, sondern er oder sie macht eine Erfahrung mit dem
Leben, im Leben, im Erleben. Erfahrung machen heißt, sich etwas bewusst machen,
was gerade geschieht. Worin bin ich involviert, was passiert da eigentlich mit
mir?
Dazu
ist es nicht hinreichend, nur reflektorische Vernunftfähigkeiten zu haben, also
zu interpretieren, was geschieht, sondern es gehört dazu auch ein Spürvermögen,
das ohne Worte innerlich orientieren kann. Im besten Falle kennen wir diese Vermögen
als Intuition oder „siebten Sinn“, aber ich möchte mehr darin erkennen und
das Spürvermögen selber philosophisch thematisieren. Und hier macht der
Wurzelbegriff Re-silence Sinn. In die Stille gehen, zur inneren Ruhe kommen, spüren.
Wir
erleben nicht nur als geistige oder fühlende
Wesen, sondern wir erleben auf verschiedenen Ebenen unseres Lebens
gleichzeitig. Das Erleben und Erfahren ist eine komplexe Angelegenheit. Bisher
haben wir kulturell nur die analytische Sprachebene dafür geschult, unser
Erleben als Erfahrung zu verstehen. Aus der neueren Gehirnforschung wissen wir,
dass unser Sprachzentrum, was wir auch Bewusstsein nennen, nur 0,0000003 % von
den Informationen in Biteinheiten gezählt verarbeitet, die wir pro Sekunde
insgesamt koordinieren. Darum gibt es viele Gehirnforscherinnen und
Gehirnforscher, die dazu über gegangen sind, auch andere Erkenntnisquellen als
die des sprachlichen Denkens anzuzapfen. Das bewusste Spüren gehört dazu. Es
ist eine Erkenntnisquelle mehr, wenn ich mich und andere Menschen und die Welt
besser verstehen will. Unsere bisherigen dominanten Kulturtechniken wie Lesen
Schreiben und Rechnen haben dieses Spürvermögen aber nicht zum Inhalt. Wir
erfahren aber, dass viele wichtige Entscheidungen intuitiv oder aus dem Bauch
heraus gefällt werden und nicht immer sind diese hilfreich, vor allem dann
nicht, wenn das intuitive Vermögen oder der Spürsinn unentwickelt ist.
Hier
könnte sich eine neue menschliche Intelligenzform entwickeln lassen, die mehr
Informationen mit dem Sprachzentrum zusammengenommen verarbeitet als ohne möglich.
Ein neuer R-Faktor kann entstehen.
Menschen,
die rechtzeitig spüren können, was los ist, können sich und andere besser schützen
und entfalten.
Zum
Spüren gehört eine positive philosophische Haltung oder ethische Sinnesart zum
eigenen und fremden Körper. Dabei
wird der eigenen Körper nie als dreidimensionaler Körper erfahren, sondern
hauptsächlich sozusagen von innen verspürt. Nur der Mensch da draußen kann
dreidimensional wahrgenommen werden, wenn ich meine Wahrnehmung auf reines Sehen
umstelle und ohne Einfühlungsvermögen versuche, den anderen zu sehen, was
selten gelingt. Wir projizieren ständig von innen nach außen.
Die
subjektive Erfahrung mit sich selbst ist vermischt, alles gleichzeitig. Ich
nenne das eigenleibliche Erfahrung. Leiblich ist sozusagen das Spüren von mir
selber. Ich kann mich nicht rein körperlich spüren, weil ich lebendig innen
wahrnehme, kein toter Gegenstand für mich sein kann.
Insofern
gehört zur Schulung der Weisheit die eigenleibliche Spürerfahrung mit zur
Lebenserfahrung dazu, ohne diese ist Weisheit als Wissen aus Lebenserfahrung
kaum zu erlangen.
Was
manche unbewusst schon tun, weshalb es ja auch ohne Schulung weise Menschen
gibt, kann bewusster gemacht werden. Das ist meine Arbeit als Leibphilosophin
auch in meiner philosophischen Praxis.
Es
geht darum, Spürqualitäten innerlich wahrzunehmen und diese als Information zu
interpretieren. Wir kennen grobe Spürnisse, wie Unbehagen und Lustgefühl, aber
es gibt auch feinere, die direkt das Erleben begleiten.
Hier
forsche ich und das deshalb, weil ich davon ausgehe, dass wir Menschen unsere
Intelligenz noch nicht zum Besten entwickelt haben.
Insofern sehe ich die Resilienzforschung als sehr hilfreich an, mehr
herauszubekommen über uns als Menschen. Dabei sollte das Ziel, wohin wir uns
entwickeln wollen aber offen diskutiert werden. Für eine Kriegergesellschaft
reicht es aus, die innere Stärke auf die Verdrängungsfähigkeiten von Gefühlen
zu verlegen und die Vernunftvermögen zu kultivieren, damit Menschen das tun,
was Gesetz ist oder was sie unterschreiben. Aber für eine Friedensgesellschaft
brauchen wir eine mehr emphatische Intelligenz, die es nicht gut aushält, wenn
Schlimmes passiert, weshalb das Schlimme eher vermindert werden kann. Wir leben
in Übergängen. Die Robusten kommen in Kriegsgesellschaften gut zurecht, in
Friedensgesellschaften würden sie durch ihre Unsensibilität negativ auffallen.
Auch
die Psychologie als Wissenschaft prägt unser Intelligenzvermögen mit und ist
nicht wertneutral. Sie hat ethische Dimensionen. Darum darf auch in der
Resilienzforschung die Frage nicht fehlen, wohin wir die Stärken der Menschen
unterstützen wollen, denn wir können potenziell viele Stärken und Überlebensstrategien
entwickeln. Wie aber wollen wir als Menschen sein? Wir können uns selber prägen
und kultivieren. Wir sind nicht völlig festgelegt.
Das
kann auch Unsicherheitsgefühle hervorrufen, eine Sehnsucht nach sehr festen
gesetzten Rahmen. Hier einen weisen Mittelweg zu finden, sehe ich als ethische
Herausforderung an.
Ich möchte diesen Vortrag beenden mit einer Rückwärtsbewegung in die griechische Antike zu einer Philosophin, die vor 2600 Jahren die erste Ethikerin des Abendlandes war. Sappho. Wenn es mehr nach ihr gegangen wäre in unserer Intelligenzgeschichte, könnten wir heute vielleicht mehr Informationen pro Sekunde bewusst verarbeiten und hätten vielleicht weniger Kriegsgeschichte hinter uns. Sie ist für mich eine sehr moderne Leibphilosophin, woran ich trotz einem großen Zeitbogen anknüpfen kann. Für sie ist das Spüren als Sehnsucht zum Beispiel wichtiger als alle sogenannten objektiv als schön bezeichneten und gültigen Dinge. Zitat:
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